Mit van Gogh verbunden
Zwei Künstler bekämpften die Dunkelheit in ihrer Seele mit leuchtenden Farben: Über ein Jahrhundert trennt Matthew Wong und Vincent van Gogh, eine Schau im Kunsthaus Zürich vereint sie. - Von Isabella Seemann
Zwei Künstler bekämpften die Dunkelheit in ihrer Seele mit leuchtenden Farben: Über ein Jahrhundert trennt Matthew Wong und Vincent van Gogh, eine Schau im Kunsthaus Zürich vereint sie. - Von Isabella Seemann
Ein Echo hallt in ihren Namen nach: Matthew Wong, Vincent van Gogh. Letzterer, eine Ikone der Kunstgeschichte, bedarf keiner Einführung, ersterer stand am Anfang seiner vielversprechenden Karriere und hatte gerade seine erste Einzelausstellung in New York gefeiert, als er sich 2019 mit 35 Jahren das Leben nahm. Van Gogh, den Wong als seinen künstlerischen Meister verehrte, erschoss sich 1890 im Alter von 37 Jahren. Trotz der zeitlichen Distanz von mehr als einem Jahrhundert sind die Parallelen ihrer Lebenswege frappant.
Beide waren Autodidakten, fanden erst spät zur Malerei und kompensierten dies durch fieberhafte Produktivität. Beide litten an schwer beeinträchtigenden psychischen Störungen und suchten in der Kunst, was ihnen die Wirklichkeit verwehrte. «Ich sehe mich in ihm. Die Unmöglichkeit, zu dieser Welt zu gehören», schrieb Matthew Wong in einer Textnachricht an seinen Galeristen.
Zum ersten Mal ist das Werk des chinesisch-kanadischen Künstlers in Zürich zu sehen und lässt den Dialog mit van Gogh hörbar werden. Die Ausstellung im Kunsthaus Zürich, entstanden in Zusammenarbeit mit dem Van Gogh Museum Amsterdam, präsentiert in zwei Räumen des Chipperfield-Baus rund 40 Werke Wongs und ein Dutzend Arbeiten van Goghs. Von Matthew Wong sind Gemälde aus dessen künstlerisch besonders wichtigen fünf letzten Lebensjahren vertreten. Von van Gogh sind in der Ausstellung herausragende Werke aus den letzten vier Jahren seines Lebens zu sehen, darunter Meisterwerke aus den berühmten Schaffensphasen in Arles, Saint-Rémy und Auvers-sur-Oise. Diese Gemälde allein rechtfertigen bereits den Besuch. Ihnen gegenüber stehen Wongs grossformatige Werke, die eine deutliche Reverenz an van Gogh erkennen lassen. Doch die Ausstellung versteht sich keineswegs als direkter Vergleich der beiden Maler. Im Zentrum der Schau steht vielmehr, wie van Goghs Schaffen, seine Lebensgeschichte und seine Ideen auch heute noch tiefgreifenden Einfluss auf zeitgenössische Künstler wie Wong haben und weiterhin künstlerische Inspiration bieten.
Zunächst fallen die wirbelnden Pinselstriche auf, die Felder, Blätter und Wolken durcheinanderwirbeln. Wie van Gogh schuf Wong imaginäre Landschaften, in denen Farbe und Strich die Räume definieren – oft düstere Wälder mit einem gewundenen Pfad, der sich im Dunkeln verliert, manchmal aber auch in einem lichtdurchfluteten Horizont endet. Bäume verzweigen sich wie Zellen, und die menschliche Figur verschmilzt mit der Natur, als sei jede Landschaft letztlich eine Reise ins Unterbewusstsein. «Wongs Landschaften sind geträumte Zufluchtsorte», erklärt Jonas Beyer, Kurator der Zürcher Ausstellung. Auf einem Bild verhüllt ein Birkenwald wie ein opalfarbener Vorhang eine winzige Silhouette inmitten eines Blumenteppichs – eine Oase der Ruhe, die Wong «The Kingdom» (2017) nannte.
Wong stellte seine düsteren Gedanken einer leuchtenden Farbpalette entgegen. Während van Gogh seinem Bruder Theo von der Ruhe erzählte, die ihm das Malen verschaffte, schrieb Wong: «Das Leben ist die Hölle, ausser den Momenten vor der Staffelei.» Der Ausstellungstitel «Letzte Zuflucht Malerei» greift auf, was Kunst und Schönheit bedeuten kann.
Van Gogh war Wongs wichtigste künstlerische und menschliche Verbindung. Wong zollte ihm mit eigenen Versionen von Sonnenblumen und Stühlen Tribut, fand aber besonders in der Einsamkeit des holländischen Malers eine Resonanz. So ersetzte er in seiner Version der Strasse von Tarascon den Maler durch eine Bank – ein Selbstporträt in Abwesenheit, von jenen, für die der Kontakt mit Menschen eine Quelle des Leidens war. Obwohl soziale Netzwerke Wong, der unter Autismus und dem Tourette-Syndrom litt, die Kommunikation erleichterten, blieb die Einsamkeit sein Thema. Seine letzte «blaue Periode» symbolisierte diesen «Blues». In seinem Bild «See you on the other side» (2019), gemalt kurz vor seinem Tod, wird die Unruhe von flachen Flächen und leuchtenden Farben abgelöst, die Ruhe ausstrahlen. Ein Haus wartet auf einen verirrten Wanderer.
Die Ausstellung «Matthew Wong – Vincent van Gogh. Letzte Zuflucht Malerei» ist noch bis 26. Januar 2025 im Kunsthaus Zürich zu sehen.
Rahmenprogramm: Gabriele von Arnim reflektiert am 26. Oktober, 15 Uhr, im Gespräch mit Kunsthaus-Kurator Jonas Beyer über den Trost der Schönheit.
Infos:www.zuerich-liest.chwww.zuerich-liest.ch
Am 16. Januar 2025 findet ein ZKO-Gesprächskonzert zur Ausstellung statt.
Infos und Tickets:www.zko.ch
Lade Fotos..