16.10.2024 14:54
Die Essenz des Herbstes
Im Oktober und November beginnt wieder die Maroni-Saison. Die delikate Frucht der Edelkastanie lässt sich in den verschiedensten Varianten geniessen. Der Klassiker ist natürlich das Schweizer «Nationaldessert» Vermicelles. In der Stadt können Maroni aber auch selber gesammelt werden.
Die «Neuen Zürcher Nachrichten» brachten 1928 eine «bewährte» Delikatesse aus «Küche und Keller» seiner Leserschaft näher: «Kastanienpüree mit Schlagrahm». «Das fertige Kastanienpüree drückt man durch eine Kartoffelpresse oder ein Sieb auf eine Tortenplatte, ordnet es zu einem Kranz und füllt die Mitte mit geschlagenem Rahm, den man nach Belieben gesüsst hat.» Die Vermicelles trat damals erst allmählich ihren herbstlichen Siegeszug in der Schweizer Küche an. Das erste Schweizer Dessert-Rezept tauchte in «Buchhofer’s Schweizer Kochlehrbuch» aus dem Jahr 1900 auf. In Frankreich allerdings ist ein Rezept für Kastanienpüree bereits aus dem Jahr 1542 überliefert. Die hierzulande verbreitete Vermicelles-Version in «Spaghetti-Form» hat ihre Wurzeln wiederum im Tessin.
Bergeller Delikatesse
Vermicelles ist heute längst zu einem kalorienreichen Schweizer Nationaldessert avanciert. Neben den heissen Maroni ist die Vermicelles sozusagen die genussreiche Krönung dessen, was so eine Edelkastanie hergibt. Und der Klassiker könnte zeitgeistiger nicht sein. Bereits vor fünf Jahren gründete eine Gruppe von ehemaligen Designstudierenden an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), genährt von der Liebe zu diesem Dessert, das saisonale Restaurant Vermicelleria. Während drei Novemberwochen bietet es eine Hommage an die Maroni-Delikatesse. In der Vermicelleria wird die Vermicelles als Coupe serviert, zubereitet aus frisch geernteten Bergeller und Tessiner Maroni. Die Bergeller Maroni bezieht das Team der Vermicelleria über den örtlichen Kastanienverein. In uralten Kastanienanlagen, sogenannten Selven, werden im Bergell die teils jahrhundertealten Bäume gehegt und gepflegt. Jeweils im Oktober findet die Ernte und das grosse Kastanienfest statt. Im Tessin wiederum sammeln die Zürcher Saison-Gastronomen die Kastanien selbst in den Regionen Bellinzona bis Locarno. Dieses Jahr ist die Vermicelleria im Sous-Sol der Bäckerstrasse 26 im Kreis 4 vom 31. Oktober bis 24. November geöffnet.
(Weitere Infos:www.vermicelleria.ch)
Dass es delikate Maroni quasi auch vor der eigenen Stadtzürcher Haustür zu sammeln gibt, machte das im Mai beendete Projekt «Stadtzürcher Maroni» bewusst. Es zeigte auf, dass Maroni-Bäume als Stadtbäume zur Kultur und Ernährung beitragen können. Und durch die Klimaerwärmung erlebt die wärmeliebende Baumart auf der Alpennordseite gerade ein Revival. Ein Resultat des Projekts ist die «Maroni-Map», auf welcher aktuelle Standorte von Edelkastanien in der Stadt Zürich zu finden sind. Die Karte lädt die Nutzer zum Erkunden dieser «natürlichen Schatzkammer» ein, zum Sammeln und anschliessenden Zubereiten der Früchte, ob im Ofen als Snack, als Suppe, zu Vermicelles als Dessert bis zur Verarbeitung zu Mehl.
Ein Vorteil für Maroni-Liebhaber: Die reifen Früchte müssen nicht vom Baum gepflückt werden; die Gaumenfreuden können direkt vom Boden eingesammelt werden.
(Infos:www.stadtzuerchermaroni.ch)
Jan Strobel