Film als kraftvolles Medium
Die eingebürgerte Zürcherin Maria Brendle (41) ist mehrfach ausgezeichnete Regisseurin und Drehbuchautorin. Morgen kommt mit «Friedas Fall» ihr erster Langspielfilm in die Kinos. - Von Ginger Hebel
Der erste Langspielfilm von Maria Brendle kommt ins Kino. Michael Schäuble
Die eingebürgerte Zürcherin Maria Brendle (41) ist mehrfach ausgezeichnete Regisseurin und Drehbuchautorin. Morgen kommt mit «Friedas Fall» ihr erster Langspielfilm in die Kinos. - Von Ginger Hebel
«Friedas Fall» erzählt den wahren juristischen Prozess um die 25-jährige Näherin Frieda Keller im Jahr 1904. Ihr wurde vorgeworfen, ihr uneheliches Kind getötet zu haben. Vom Kantonsgericht St. Gallen wurde sie zum Tode verurteilt. Es folgte die Begnadigung und die Umwandlung in eine lebenslängliche Zuchthausstrafe in Einzelhaft. «Friedas Fall» ist das Langspielfilm-Debüt von Erfolgsregisseurin Maria Brendle.
Morgen kommt Ihr Film «Friedas Fall» in die Kinos. Er feierte am Zurich Film Festival Weltpremiere. Was bedeutet Ihnen dieses Werk?
Maria Brendle: Das wahre Schicksal von Frieda Keller hat mich tief bewegt und nicht mehr losgelassen. Die Frage, ob man mit einer Kindsmörderin sympathisieren kann, ist komplex und herausfordernd. Es hat mich gereizt, in die damaligen Umstände und die Zeit einzutauchen und meine Gedanken mit dem Publikum zu teilen. Der Film ist ein Fenster in eine vergangene Welt, die gleichzeitig so viel mit unserer heutigen Zeit verbindet.
Was ging in Ihnen vor, als Sie einen Anruf von Condor Films erhielten mit dem Angebot, die Regie zu übernehmen?
Es ist nicht selbstverständlich, dass einem ein historisches Projekt in dieser Grösse als Langspielfilm-Debüt angeboten wird. Ich hatte Respekt davor, aber solche Geschichten sind genau der Grund, warum ich Filme mache. Ich bin Condor Films sehr dankbar für das grosse Vertrauen, das sie mir entgegengebracht haben.
Die Verurteilung von Frieda Keller löste schweizweit Debatten zur Todesstrafe und den juristischen Umgang mit Frauen aus. Im Film geht es um grosse Themen wie Gleichberechtigung und Gerechtigkeit. Fühlten Sie sich in Ihrem Beruf schon einmal ungerecht behandelt?
Es ist kein Geheimnis, dass Frauen in der Filmbranche oft weniger zugetraut wird. Diese Seite kenne ich natürlich auch. Laut dem Bericht 2023 der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle waren zwischen 2018 und 2022 nur 26 Prozent der Regie und 29 Prozent der Drehbuchschreibenden in europäischen Spielfilmen Frauen. Solche Zahlen zeigen, wie wichtig es ist, weiter für Chancengleichheit einzutreten und strukturelle Barrieren abzubauen.
Die Dreharbeiten fanden an Originalschauplätzen in Winterthur, St. Gallen und im Thurgau statt. Was waren die Herausforderungen bei der filmischen Umsetzung?
Es war uns wichtig, die Authentizität der Zeit um 1904 einzufangen, was bedeutete, dass wir moderne Elemente entfernen oder kaschieren mussten. Gleichzeitig war es eine besondere Erfahrung, an Orten zu drehen, die tatsächlich Teil von Frieda Kellers Geschichte waren, wie der Klosterhof oder der Grossratssaal in St. Gallen. Wir mussten kreative Lösungen finden, um das Setting trotz fester Installationen für den Film passend zu gestalten. Die Arbeit unseres Ausstattungsteams war beeindruckend. Sie haben aus leeren Räumen oder Abstellkammern ganze Wohnungen oder den Nähsalon gezaubert und in einem alten Keller den Gefängnistrakt gebaut.
Als Regisseurin beschäftigen Sie sich oft mit komplexen Frauenfiguren und Rollenbildern. Wie wichtig ist es Ihnen, Frauen, die nicht oft gehört werden, eine Stimme zu geben?
Film ist ein unglaublich kraftvolles Medium, um Geschichten zu erzählen, die sonst oft ungehört bleiben. Es ist mir wichtig, diese Plattform zu nutzen, um auf Missstände aufmerksam zu machen – nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern auf eine Weise, die berührt und zum Nachdenken anregt. Denjenigen eine Stimme zu geben, die sonst überhört werden oder ihr Stimmvolumen zu verstärken, ist für mich eine Herzensangelegenheit.
Für die Recherchen zu Ihrem Kurzfilm «Ala Kachuu» reisten Sie nach Kirgistan. Sie trafen sich mit Frauen, die Brautraub erlebten und von Männern entführt und zwangsverheiratet wurden. Für diesen Film erhielten Sie 2022 eine Oscar-Nominierung. Hat das Ihnen Türen geöffnet?
Ja, die Oscar-Nominierung hat mein Leben sehr verändert. Sie ist ein Titel, der Türen öffnet, vor allem für Frauen in einer Branche, in der wir oft unterschätzt werden. Diese Anerkennung hat mir nicht nur beruflich neue Möglichkeiten eröffnet, sondern mir auch viele grossartige Menschen ins Leben gebracht. Es ist eine Ehre, Teil dieser Gemeinschaft zu sein und jedes Jahr für die Oscars abstimmen zu dürfen.
Mit der Super-8-Kamera Ihres Grossvaters drehten Sie erste Filme. Heute leben wir in einem modernen Zeitalter, vieles ist digital. Mit welchen technischen Hilfsmitteln arbeiten Sie?
Ich nutze KI-gestützte Bilderstellung, um visuelle Eindrücke von Szenen, die nur in meiner Vorstellung existierten, mit meinem Team zu teilen. Ansonsten arbeite ich mit einem Drehbuchprogramm aber auch gerne analog. Ich habe ein grosses Whiteboard, auf das ich die gesamte Struktur eines Films klebe. So kann ich Szenen flexibel verschieben oder austauschen.
Wenn Sie nicht hinter der Kamera stehen, womit beschäftigen Sie sich privat?
Mit dem Menschsein. Ich habe einen Master in Neurowissenschaften, weil mich interessiert, wie das Gehirn funktioniert und wie wir Menschen uns auf dieser Welt verhalten. Ich lese viele Bücher darüber und bin privat ein ziemlicher Nerd. Filme und Serien sind das, was ich liebe. Also wenn ich selber keine mache, schaue ich ganz viel.
Sie leben seit 2008 in Zürich und sind eingebürgerte Zürcherin. Was gefällt Ihnen an der Stadt, was würden Sie ändern?
Zürich ist für mich ein wunderbarer Ort zum Leben. Ich schätze die Qualität der Stadt sehr. Was ich mir wünschen würde, sind erschwinglichere Wohnungen. Gerade in der Filmbranche, wo projektbezogenes Arbeiten oft mit finanziellen Unsicherheiten verbunden ist, sind hohe Lebenshaltungskosten eine Herausforderung.
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