Klingendes Plädoyer für Grautöne
Patent Ochsner treten vom 25. bis 30. März im Volkshaus Zürich auf, alle Konzerte sind bereits ausverkauft. Der kreative Kopf Büne Huber im Gespräch über das neue Album «Tag & Nacht». - Von Reinhold Hönle
Büne Huber verarbeitet in den neuen Songs Licht und Schatten. Bild: Christian Lanz
Patent Ochsner treten vom 25. bis 30. März im Volkshaus Zürich auf, alle Konzerte sind bereits ausverkauft. Der kreative Kopf Büne Huber im Gespräch über das neue Album «Tag & Nacht». - Von Reinhold Hönle
Trägt das neue Album den Titel «Tag & Nacht», weil es extrem schöne oder schmerzhafte Erfahrungen waren, die Sie inspiriert haben?
Büne Huber: Tag und Nacht, hell und dunkel, sind ein starkes Bild dafür, dass alles die eine und die andere Seite hat, wobei ich vor allem die Schnittstellen wahnsinnig spannend finde, die Übergänge vom Leben in den Tod, von den eigenen vier Wänden ins Leben auf Tournee, vom Popstar zum Papa. Sie sind manchmal sehr herausfordernd und führen zu einer Intensivierung des Schreibens. Sie ging bei diesem Album so weit, dass ich Schiss bekam, das Songmaterial zu verwenden.
Aus welchem Grund?
Ich habe meinen Freund Wädi Gysi, der unheilbar krank war, sehr lange beim Sterben begleitet. Als er aus dem Spital entlassen wurde, hiess es, er hätte vielleicht noch zwei, drei Wochen zu leben, und dann wurden Monate daraus. Wir verbrachten sehr viel Zeit miteinander. In dieser Situation bist du dünnhäutig, nimmst extrem viel auf, was ganz viel auslöst und mich zu vielen Songs inspiriert. Die und meine Bilder sind nun mal meine Art, Erlebtes zu verarbeiten.
Aber?
Ich realisierte, dass es mir, meiner Familie und meinem ganzen Umfeld nicht guttun würde, wenn dieses Thema eine ganze Tournee, möglicherweise jahrelang so dominant wäre. Da wir geplant hatten, nach den Herbstferien mit den Aufnahmen zu beginnen, merkte ich dies jedoch zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Meine Ausstellung im Naturhistorischen Museum hatte mich so absorbiert, dass ich das Problem zu spät wahrnahm und nun der Band erklären musste, dass ich acht Lieder nicht verwenden kann und nochmals Zeit brauche, um neue Songs zu schreiben.
Kurz darauf erlitten Sie einen Velounfall. Bedeutete er zusätzlichen Stress oder eine willkommene Verschnaufpause?
Wahrscheinlich habe ich die Zwangspause nach dieser hohen Belastung einfach gebraucht und musste dafür auf die Schnauze fallen. Nachdem ich auf der regennassen Strasse ausgerutscht war, spürte ich zuerst nur die gebrochenen Rippen und erst dann die kaputte Schulter. Ohne starke Medikamente hätte ich das letzte Konzert der Tournee nicht durchgestanden. Als es mir wieder besser ging, nahmen meine Schmerzen in den Händen jedoch so zu, dass ich nach der Schulter auch noch beidseitig mein Karpaltunnelsyndrom operieren lassen musste.
Ein besonders persönliches Lied auf dem neuen Album dürfte «Hannah Luna» sein. Wollen Sie sich bei Ihrer ältesten Tochter entschuldigen, weil Sie sich möglicherweise nicht genügend Zeit für Sie genommen hatten?
Nein, der Text ist nicht autobiografisch. Ich hatte sehr viel Zeit für Hannah! Den Text schrieb ich auf Wunsch zur Musik des Cantautore Mimmo Locasciulli. Ich habe dabei an ihn gedacht, aber er handelt von einer Thematik, die auch mich betrifft. Älterwerden bedeutet, du schaust zurück. Ich habe mir vorgestellt, da sitzen ein Vater und seine Tochter vor dem Cheminée. Zwischen ihnen herrscht eine innige Verbundenheit. Er schaut sie an, sieht ihre ganze Schönheit und spricht zu ihr. Alles ist aufgeladen mit einem Gespräch, das ich mit Hannah geführt hatte.
Sie blicken zurück. Was raten Sie der heutigen Jugend?
Jugend heisst: Du bist voll im Saft. Dein ganzes Leben liegt noch vor dir, die Piste ist frei, es kann dich überall hinführen. Probiere aus, was dich interessiert. Leg dich nicht fest. Ich erinnere mich, wie ich in dem Alter gleich viele Pläne wie der Himmel Sterne hatte, und völlig hemmungslos war. Nachher hast du Kinder oder andere Verpflichtungen. Plötzlich bist du 62 und der Job scheisst dich an, aber du kannst ihn nicht mehr wechseln oder dich frühpensionieren lassen, weil du es dir nicht leisten kannst. Ich kenne das aus meinem Freundeskreis. Manche sind sogar jünger und müssen die Füsse stillhalten. Ich bin wahnsinnig dankbar, dass ich seit mehr als 30 Jahren tun kann, was ich am liebsten mache. Malen, schreiben, singen, musizieren und mit einer Band auf Tour sein.
Könnten Sie sich vorstellen, beruflich einen Gang zurückzuschalten, um mehr Zeit mit der Familie verbringen zu können?
Sie müssen wissen: Ich habe in meinem Leben ganz viel Zeit für alles, was mir wichtig ist. Nichts steht mir im Weg. Ich kann in der Familie sein, ich kann mich meinen Kindern widmen und ich habe eine Frau, die Verständnis hat und mich unterstützt, wenn ich wieder einen blindwütigen Anflug von Kreativität habe.
Mussten Sie nie auf etwas ver-zichten?
Doch, wenn ich mich nicht Verantwortung für meine Kinder und meine Musiker getragen hätte, wäre ich wohl massiv mehr um die Welt gereist, zwischendurch einfach für ein Jahr losgezogen. Auf der anderen Seite konnte ich mir immer wieder Auszeiten von zwei, drei Monaten nehmen. Das hätte ich vergessen können, wenn ich als Schlosser weitergearbeitet hätte.
Der französische Sprechgesang in «Sowieso» erinnert an «L’été Indien», Joe Dassins Hymne auf eine Geliebte und den amerikanischen Indian Summer an. Kein Zufall?
Der Song entstand aus einem Gedicht. Weil ich es auf Korsika geschrieben hatte, bat ich Sue, meine Frau, die bilingue ist, es auf Französisch zu übersetzen. Es gefiel mir sehr, wie sie ihn sprach, und nahm sie auf, hatte aber nicht vor, daraus ein Lied zu machen. Später, im Laufe der Albumproduktion, erinnerte ich mich jedoch und stellte sie in eine Songskizze rein, die ich auf dem Computer hatte. Sues Stimme berührte mich zutiefst, und die Band reagierte begeistert.
Welche Botschaft wollen Sie mit diesem Song transportieren?
Es geht um Toleranz. Ich halte es aus, dass du nicht immer meiner Meinung bist, dass du vielleicht ganz anders denkst, dass du andere Werte hast, weil das einfach zum Leben gehört. Das muss man aushalten können. In einer Zeit, in der es nur noch ja/nein, on/off, schwarz/weiss und keine Grautöne mehr gibt, ist das besonders wichtig. Die Welt hat noch nie funktioniert, wenn sie auseinanderdriftete, hin zu den Extremen.
Weitere Informationen:
Die Patent-Ochsner-Konzerte vom 25. bis 30. März im Zürcher Volkshaus sind ebenso wie alle 25 Konzerte der Hallentournee ausverkauft. Tickets gibt es noch für einige Sommer-Festivals.
Das «Tagblatt der Stadt Zürich» verlost 2 x 2 Tickets für das längst ausverkaufte Patent-Ochsner-Konzert vom 27. März im Volkshaus Zürich!Schreiben Sie uns eine E-Mail mit Namen, Adresse, Telefon und dem Betreff Ochsner an gewinn@tagblattzuerich.ch
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