30.10.2024 11:05
Winzige Blutsauger mit grosser Wirkung
Gnitzen sind zwar nur etwa ein Sechstel so gross wie die Gemeinen Stechmücken, dennoch können ihre Stiche eine weit verheerendere Wirkung haben. Sie übertragen gefährliche Krankheiten wie die Blauzungenkrankheit, die aktuell in Schweizer Viehhaltungen zahlreiche Opfer fordert. - Von Sacha Beuth
Fiebrig und apathisch steht das Schaf in einer Ecke des Stalls. Der Kronsaum an den Klauen und die Maulschleimhäute sind gerötet, der Speichel tropft und tropft, die Zunge ist blau gefärbt und hängt aus dem Maul. Wenig später verendet das arme Tier. Eine Szene, die sich aktuell immer wieder in vielen Landwirtschaftsbetrieben im Kanton Zürich abspielt. Und die ihre Ursache in der Blauzungenkrankheit hat, die sich in den letzten Wochen in über 1000 Nutztierhaltungen der Schweiz ausgebreitet hat.
Diese Tierseuche wiederum ist winzigen Insekten geschuldet: den Gnitzen der Gattung Culicoides. Gnitzen? Vielen dürfte unbekannt sein, dass es sich hierbei um Stechmücken handelt. Die auch Bartmücken genannten, zumeist dämmerungs- und nachtaktiven Blutsauger sind zwar mit rund 1 bis 2 Millimeter kleiner als die bekannten, etwa 6 bis 7 Millimeter grossen Gemeinen Stechmücken. Aber dafür für Nutztiere wesentlich gefährlicher. Denn während die Gemeine Stechmücke in unseren Breitengraden als Krankheitsüberträger kaum eine Rolle spielt, sieht das bei den Gnitzen anders aus. Neben der Blauzungenkrankheit verbreiten sie laut Wikipedia das Akabane-Virus, welches bei Rindern, Ziegen und Schafen schwere Missbildungen von Föten und Störungen des zentralen Nervensystems verursacht. Und die Afrikanische Pferdepest, bei der befallene Pferde an hohem Fieber, Nasenausfluss, Atemnot, Blutungen auf Schleimhäuten und Ödemen an Kopf und Hals leiden und die bei schwerem Verlauf meist tödlich endet.
Hoffen auf kaltes Wetter
Zwar werden Menschen gelegentlich ebenfalls von Gnitzen gestochen, wobei der Stich einiger Arten sehr schmerzhaft sein und wegen der Quaddelbildung an der Einstichstelle sehr lästig werden kann. Auch sind allergische Reaktionen bekannt. Im Allgemeinen sind die Stiche jedoch harmlos. Laut dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV ist auch der Erreger der Blauzungenkrankheit für den Menschen nicht gefährlich. Selbst das Fleisch und die Milchprodukte «können ohne Bedenken konsumiert werden», heisst es in einem BLV-Faltblatt von 2016.
Trotz dieser Umstände und obwohl die Blauzungenkrankheit für einige empfängliche Nutztiere wie Rinder und Ziegen in der Regel nur selten tödlich verläuft, sind die Folgen der Seuche massiv. Nebst dem Tierleid bringt diese nämlich auch hohe wirtschaftliche Ausfälle wegen Aborten, verringerter Milchleistung oder zusätzlicher Pflegekosten mit sich. Das BLV hat darum einerseits erlaubt, ein zuvor nicht zugelassenes Impfmittel zur Bekämpfung der gegenwärtig grassierenden Blauzungenkrankheitstypen einzusetzen. Andererseits fordert es die Viehhalter auf, Mückennetze und andere physische Barrieren zu installieren, chemische Insektenabwehrmittel einzusetzen und stehendes Wasser – das ein idealer Brutplatz für Mücken ist – zu entfernen. Ansonsten bleibt noch die Hoffnung, dass die Temperaturen unter zwölf Grad fallen, da dadurch die Aktivität der Culicoides-Gnitzen reduziert wird.
Zur Ehrrettung der Gnitzen, von denen weltweit rund 5500 Arten existieren, sei erwähnt, dass sich nur die Weibchen von Blut ernähren. Die Männchen dagegen saugen den Saft von Pflanzen oder Nektar. Dabei kommt ihnen eine wichtige Rolle als Bestäuber zu. Etwa in den Tropen, wo der Kakaobaum ausschliesslich auf die Bestäubungsleistung von Gnitzen-Arten aus den Gattungen Forcipomyia und Euprojoannisia angewiesen ist.