Auch Hunde können unter Depressionen leiden. Tierärzte verschreiben immer mehr Psychofarmaka. Bild: Unsplash
19.08.2025 15:05
Prozac für den Hund
Immer mehr Tierhalter lassen ihren Liebling bei auffälligem Verhalten von Tierpsychologen behandeln. Gewisse Tierärzte verschreiben gar Psychofarmaka. Doch bei der Suche nach den tierischen «Seelenklempnern» ist Vorsicht geboten. - Von Clarissa Rohrbach
Der Hund jagt seinen Schwanz wie besessen? Die Katze uriniert in der ganzen Wohnung herum? Diese auffälligen Verhaltensweisen können einen Fall für den Tierpsychologen sein. Der relativ neue Beruf boomt zurzeit in der Schweiz. Denn immer mehr Tierhalter lassen ihren Liebling vom Therapeuten behandeln. «Die Anfragen haben in den letzten Jahren zugenommen», sagt Tierpsychologe Christian Lenz. Dies habe auch damit zu tun, dass sich während Corona viele Leute einen Hund zugetan haben. Besonders beliebt seien Welpen aus Zuchten im Ausland, bei denen nicht klar ist, wie sie die ersten Monaten sozialisiert wurden und deswegen traumatisiert oder verhaltensauffällig seien. Um Tierpsychologe zu werden, braucht es kein Medizinstudium. So hat auch Lenz, der 30 Jahre lang als Senior Software Engineer tätig war, seine Berufung nach einem Studium der Ethologie (Verhaltensforschung) gefunden.
Für Lenz ist es wichtig, zu verstehen, wie die Probleme angefangen haben. Beim ersten Treffen versucht er, so viel wie möglich über Tier und Besitzer herauszufinden. Woher kommt das Tier? Wie wurde es gezüchtet? Wie war der Transport? «Es ist eine richtige Detektivarbeit, die Ursachen festzustellen», sagt Lenz. Er sieht jedes Tier als einzigartig, man müsse individuell darauf eingehen. Es sei auch wichtig, zu verstehen, wie ein Tier denkt. Wenn es zum Beispiel einem Hund schlecht geht und man diesen tröstet, bestätige das ihn nur. Laut Lenz sind Tiere anatomisch genau wie Menschen, auch sie können schlechte Laune haben.
Lenz behandelt Katzen, die wegen eines Umzugs oder einer Trennung unsauber sind oder nicht nach Hause kommen. Und auch Hunde, die angespannt sind, Angst haben oder aggressiv sind. Zum Beispiel Fälle, bei denen der Hund an der Leine andere Artgenossen anpöbelt. Das führe dazu, dass die Halter beim Spazieren gestresst sind, was sich auf den Hund auswirkt. «Dann lehre ich sie, das richtige Führen, damit der Hund Sicherheit und Schutz haben». Doch laut Lenz ist ein Tierpsychologe mehr als ein Trainer. «Die Leute kommen zu mir, wenn sie nicht mehr weiter wissen», sagt Lenz. Für die erste Analyse verlangt er 200 bis 300 Franken. Jede weitere Stunde kostet zwischen 80 und 100 Franken. Bei vielen Stunden biete er auch einen Rabatt an.
Depressive Tiere
Da Tierpsychologen keine Tierärzte sind, können sie keine Medikamente verschreiben. Doch die Nachfrage von Psychofarmaka für Tiere ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Es gibt Antidepressiva, Angstlöser und Beruhigungsmittel für Hunde und Katzen. Diese sind oft umgewidmete Human-Arzneimittel, bei denen die Dosis angepasst wurde und manchmal noch ein Fleischgeschmack hinzugefügt wurde.
Maya Bräm, Verhaltenstierärztin mit europäischem Diplom, die lange am Tierspital Zürich tätig war, verschreibt bei über 80 Prozent ihrer Patienten Psychofarmaka. «Ich bin die letzte Anlaufstelle, die Tierbesitzer kommen zu mir, wenn nichts anderes geholfen hat.» Sie erklärt, dass auch Tiere psychische Krankheiten wie Depressionen, Zwänge, Angststörungen, und posttraumatische Belastungsstörungen haben können. Die Medikamente wirkten auf die Botenstoffe im Hirn, genauso wie bei Menschen. Bräm sieht die Ursachen von psychischen Krankheiten bei Tieren in einer Kombination aus Genetik, Gesundheit, Sozialisierung und Umfeld.
Bräm behandelt mehr Hunde als Katzen. Ihre Patienten sind unruhig, zittern, flüchten, verstecken sich, jagen andere Tiere, sind sensibel auf Reize oder können schlecht mit Frustration umgehen. «Tiere, die sich auffällig benehmen, können nichts dafür, es ist keine böse Absicht», sagt Bräm. Es kommt vor, dass diese so gestresst seien, dass sie ein Medikament geben muss, damit man sie überhaupt ansprechen kann. «Doch Medikamente sind nur eine Komponente der Behandlung, es braucht auch Verhaltenstherapeutische Massnahmen.» So übt Bräm mit den Tieren die Stressreduktion durch Körpertherapie oder fördert die Kommunikation mit dem Besitzer.
Vorsicht vor Betrügern
Bei der Suche nach einem Tierpsychologen ist Vorsicht geboten. So warnt Dr. Anneli Muser Leyvraz, Präsidentin der Schweizerischen tierärztlichen Vereinigung für Verhaltensmedizin, dass dieser unter Umständen unseriös sein könnte. Es gebe häufig Leute, die sich einfach so nennen, ohne eine anerkannte Ausbildung zu haben . «Tiere zu behandeln ist eine grosse Verantwortung, ohne das nötige Bildungsniveau und die richtigen Massnahmen kann die Therapie auch gegen das Tierwohl sein», sagt Muser Leyvraz. Für sie ist der Gang zum Tierarzt unerlässlich, denn zuerst müssten physische Ursachen für das auffällige Verhalten medizinisch ausgeschlossen oder therapiert werden. Zum Beispiel könne ein Hund mit einer Ohrenentzündung beissen, wenn man ihn am Kopf streichelt. Eine Aggressionstherapie oder gar das Tier anschreien und bestrafen bringe dann nichts, denn das Leid sei nicht geheilt.
Am besten konsultiert man laut Muser Leyvraz zuerst einen Verhaltenstierarzt. Diplomierte Verhaltenstierärzte findet man unter stvv.ch. Nach Diagnosestellung und Ausschluss oder Therapie einer eventuellen physischen Ursache kann ein Tierpsychologe beigezogen werden. Um nicht auf Betrüger reinzufallen, rät die Tierärztin abzuchecken, ob der Tierpsychologe eine zugelassene Ausbildung hat und welche Methoden er anwendet. Sie habe auch von Fällen gehört, bei denen 1000 Franken als Vorauszahlung verlangt wurden. «In diesen Fällen muss man sehr vorsichtig sein», sagt Muser Leyvraz.