Der vergessene Mahner
Vor 100 Jahren verstarb der erste und einzige Schweizer Literaturnobelpreisträger: Carl Spitteler. Eine neue Graphic Novel erzählt seine bewegte Lebensgeschichte in Bildern. - Von Isabella Seemann
Ferdinand Hodlers Porträt von Carl Spitteler, 1915, missfiel diesem. Bild: PD
Vor 100 Jahren verstarb der erste und einzige Schweizer Literaturnobelpreisträger: Carl Spitteler. Eine neue Graphic Novel erzählt seine bewegte Lebensgeschichte in Bildern. - Von Isabella Seemann
Schon zu Lebzeiten erklärten ihn Berufene zu einem der grössten Dichter deutscher Sprache. Über Carl Spittelers Erstlingswerk «Prometheus» schrieb Gottfried Keller, «das Buch ist von vorne bis hinten voll der auserlesensten Schönheiten». In die Geschichte ging Spitteler jedoch wegen einer Rede ein, die er am 14. Dezember 1914 im Zunfthaus zur Zimmerleuten auf Einladung der Neuen Helvetischen Gesellschaft hielt. Vor rund 200 Zuhörern – darunter einflussreiche Intellektuelle, Politiker und Militärs – äusserte er sich ungewöhnlich deutlich zur Tagespolitik. Die NZZ brachte die Rede «Unser Schweizer Standpunkt» im Wortlaut, Agenturen verbreiteten sie weltweit, in Künstlercafés wie dem Odeon war sie Gesprächsthema Nr. 1. Seit einigen Wochen tobte der Erste Weltkrieg, und die Schweiz war tief gespalten: Die Deutschschweizer unterstützten mehrheitlich das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn, während die Romands zu Frankreich, Grossbritannien und Russland hielten. Spitteler ermahnte die Schweizer eindringlich, sich nicht auf die Seite einer Kriegspartei zu schlagen, sondern zu den «Brüdern» in den anderen Landesteilen zu stehen. Seine scharfe Kritik am deutschen Angriff auf das neutrale Belgien verübelte ihm die deutsche Presse und hätte ihn beinahe den Nobelpreis gekostet, für den er schon lange im Gespräch war. Doch 1920 erhielt Spitteler schliesslich rückwirkend den Literatur-Nobelpreis für 1919 – als erster und bis heute einziger gebürtiger Schweizer. Carl Spitteler starb am 29. Dezember 1924; in Witikon ist eine Strasse nach ihm benannt.
Zum 100. Todestag: Der Autor und Comic-Zeichner Andreas Müller-Weiss alias Sambal Oelek widmet Spitteler eine Graphic Novel: «Carl Spitteler. Spiel mit dem Feuer», Edition Königstuhl, September 2024
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