Rabauke mit Engelsstimme
Zum 25. Jubiläum des «Vogels des Jahres» liess BirdLife Schweiz erstmals die Bevölkerung über ihren Favoriten abstimmen. Gewonnen hat ein unverwechselbarer Sympathieträger: das Rotkehlchen. - Von Isabella Seemann
Rotkehlchen sind eher neugierige Vögel und lassen sich oft aus geringer Distanz beobachten. Bild: PD/Hans Glader
Zum 25. Jubiläum des «Vogels des Jahres» liess BirdLife Schweiz erstmals die Bevölkerung über ihren Favoriten abstimmen. Gewonnen hat ein unverwechselbarer Sympathieträger: das Rotkehlchen. - Von Isabella Seemann
Es ist Januar, spät abends, mitten in Zürich. Man tritt auf die Terrasse, um vor dem Schlafen noch einmal die kalte Nachtluft einzuatmen – und hört plötzlich einen klaren, perlenden Gesang. Manchmal ist es nur ein einzelner Vogel, manchmal ein Chor, der von den Baumwipfeln aus eine wehmütige Melodie anstimmt. Es sind Rotkehlchen, die im Mondlicht singen. Bereits eine Stunde vor Sonnenaufgang geben sie erneut ein Konzert und begrüssen den neuen Tag.
Mit bis zu 300 Motiven und einem Repertoire von rund 100 Strophen zeigt das Rotkehlchen eine beeindruckende musikalische Virtuosität. Es ahmt sogar andere Singvögel wie Amseln oder Kohlmeisen nach. Obendrauf hat der Meistersänger auch ein Erscheinungsbild, das zu Herzen rührt: grosse schwarze Knopfaugen und eine leuchtend rote Brust auf seinem kleinen, runden Körper. Was Wunder, ist das Rotkehlchen der Liebling der Schweizer Bevölkerung. Zum 25-Jahr-Jubiläum der «Vogel des Jahres»-Wahl wurde der Titel erstmals nicht durch ein Expertengremium vergeben, sondern – wie es sich in der Schweiz gehört – demokratisch entschieden.
Doch Federkleid und Gesang des Rotkehlchens – Männchen wie Weibchen singen und sehen gleich aus – dienen nicht dazu, den Menschen zu entzücken. Beides soll Rivalen fernhalten und den Futterplatz sichern. Hinter dem lieblichen Aussehen steckt ein kämpferischer Charakter. Schon der griechische Philosoph Aristoteles beschrieb das Rotkehlchen als zänkisch und nannte es «Erithacos» – nach Eris, der Göttin der Zwietracht. Später wurde der Name zu Erithacus rubecula latinisiert, wobei «rubecula» auf das rote Gefieder verweist. Ausserhalb der Paarungszeit gehen sich selbst Weibchen und Männchen gegenseitig an die Gurgel und vertreiben jeden aus ihrem Revier. Wenn ein Rivale nicht weicht, kann es zu erbitterten Kämpfen kommen – manchmal sogar bis zum Tod.
So streitlustig sie untereinander auch sein mögen, gegenüber Menschen zeigen Rotkehlchen ein erstaunlich zutrauliches Verhalten. Sie scheuen unsere Nähe nicht, sondern sehen uns als potenzielle Futterlieferanten. Bei Gartenarbeiten folgen sie neugierig und hoffen darauf, Regenwürmer, Asseln, Spinnen oder andere Insekten erhaschen zu können. Ob ein Mensch oder ein Wildschwein die Erde umwühlt, ist ihnen dabei völlig egal.
In der Stadt Zürich sind Rotkehlchen auch im Winter häufig anzutreffen – in Wäldern, entlang von Bachgehölzen sowie in buschreichen Gärten und Parkanlagen. Vor allem einheimische Beerensträucher wie Schwarzer Holunder, Vogelbeeren, Mehlbeeren, Pfaffenhütchen oder Wolliger Schneeball sind jetzt wichtige Nahrungsquellen. An Futterstellen bevorzugen sie besonders Haferflocken und kleine Rosinen.
Wer allerdings glaubt, dass es sich bei den winterlichen Besuchern um die gleichen Rotkehlchen handelt, die im Sommer in Zürich brüten, irrt. Die meisten Rotkehlchen, die man von November bis Februar in der Stadt antrifft, sind Skandinavier, die den Winter im warmen Süden verbringen – also in Zürich! Während die Zürcher Rotkehlchen für ihre Winterferien ebenfalls in den Süden fliegen. Ans warme Mittelmeer.
Einen Kurzfilm zum Rotkehlchen, weitere Informationen und ein kostenloses Poster unter:
https://www.birdlife.ch
Der Kantonalverband BirdLife Zürich und angeschlossene Vogelschutz-Organisationen bieten Kurse, Exkursionen und Vorträge zu zahlreichen Naturthemen an – vom halbstündigen Referat bis zur mehrmonatigen Ausbildung zum Vogel-Crack.
Mehr Infos unter:
www.birdlife-zuerich.ch
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