Lichterlöschen am Rindermarkt
Mit der Schliessung der Öpfelchammer verliert Zürich ein 223 Jahre altes Stück Gastronomiegeschichte. Wie es künftig am Rindermarkt 12 weitergehen soll, ist einstweilen noch offen. - Von Jan Strobel
Mit der Schliessung der Öpfelchammer verliert Zürich ein 223 Jahre altes Stück Gastronomiegeschichte. Wie es künftig am Rindermarkt 12 weitergehen soll, ist einstweilen noch offen. - Von Jan Strobel
«Wer in Zürich wüsste nicht, was die Öpfelchammer ist?»; diese Frage warf die NZZ 1928 in einer journalistischen Hommage an das Lokal in die Runde – und lieferte gleich selbst die einleuchtende Antwort: «Der alte Zürcher ist stolz auf die älteste Wirtschaft Zürichs.» Die Öpfelchammer, sie war also fast schon ein gastronomisches Denkmal wie die Kronenhalle oder das Odeon, mindestens aber das legendärste Restaurant der Stadt. Bis vergangene Woche ein Brief der Gastronomen Christian Gretener und Thomas Trautweiler von der Gretener Gastro GmbH die Redaktionen erreichte. Das Unternehmen gab die sofortige Aufgabe aller seiner Geschäftstätigkeiten bekannt. Und: «Wir schliessen unseren Gastrobetrieb, das Restaurant Öpfelchammer in der Stadt Zürich.» Die «anspruchsvolle Zeit der Pandemie und der daraus resultierende Schuldenberg» habe die Reserven «vernichtet», heisst es im Schreiben weiter.
Im Februar 2019 hatten Christian Gretener, Bendicht Stuber und Thomas Trautweiler den Betrieb als neue Pächter und Gastgeber der Öpfelchammer am Rindermarkt 12 mit viel Verve übernommen. Sie wollten das Monument Öpfelchammer mit zeitgeistigem Charme in die Zukunft führen, das Traditionshaus wieder zurück «in die Köpfe» der Zürcher bringen, trotz hoher Umsatzmiete der Räumlichkeiten des Atstadthauses und «einer fast vollständigen Neugestaltung der Gästestruktur». Das Unternehmen schien auf Kurs. Doch «mit der Verpflichtung der kontinuierlichen Mietzinszahlungen während der Pandemiejahre, sehr kurzfristig angekündigten Umbauten während des laufenden Betriebs sowie einer angedeuteten Mietzinserhöhung» habe das Unternehmen erkennen müssen, dass der Betrieb des Restaurants nicht mehr kostendeckend weitergeführt werden konnte. Eine Tilgung des angehäuften Schuldenbergs aus den Jahren 2020 und 2021 erschien angesichts dessen als illusorisch. Wie es nun am Rindermarkt 12 weitergehen soll, bleibt vorderhand offen. Die private Eigentümerschaft des Hauses äussert sich aktuell noch nicht zu den künftigen Plänen.
Die Wurzeln des Gebäudes gehen bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts zurück. Damals soll es hier auch eine Dörrkammer für Äpfel gegeben haben – eben eine «Öpfelchammer». Über Jahrhunderte diente das Haus allerdings nicht als Wirtsstube, sondern als Patrizierhaus für wechselnde Familien, zudem beherbergte die Liegenschaft ab Anfang des 17. Jahrhunderts eine Bäckerei, bekannt für ihre Wähen und «Böllenwähen». Die Gastronomie kehrte erst um 1801 in den Rindermarkt 12 ein. Bäcker Hans Kaspar Denzler kaufte die Liegenschaft, erwarb gleichzeitig geschäftstüchtig ein Pintrecht dazu und begann, eine Weinschenke zu betreiben. Das neue Lokal etablierte sich rasch – und zog auch prominente Zürcher an. In der Öpfelchammer soll Gottfried Keller jeweils mit seinem Freund Arnold Böcklin in die Nächte gebechert haben. Historisch belegt ist das freilich nicht; trotzdem wurde diese «Urban Legend» zu einem willkommenen Vermarktungsvehikel. Die Öpfelchammer bewarb sich als «Gottfried Kellers Stammlokal» mit «rein gehaltenen, selbst gekelterten Weinen und feiner Küche», wie es 1917 in einer Annonce hiess. Belegt jedenfalls scheint hingegen ein deftiges «Froschschenkel-Essen» zu sein, das sich Schriftsteller Friedrich Glauser zusammen mit dem Zürcher Schriftsteller-Kollegen Jakob Christoph Heer in der Öpfelchammer gönnte.
In die Nacht getrunken wurde besonders in der legendären «Oeli» im ersten Stock, die beim jüngeren Publikum und bei Studenten als Treffpunkt hoch im Kurs stand, wobei sich die intellektuellen Existenzialisten in den 1950er-Jahren lieber ins Café Select zurückzogen als in der bürgerlichen Öpfelchammer, die notabene auch als Stammlokal der Stadtzürcher FDP galt. Für Generationen von Zürcherinnen und Zürchern wurde die «Oeli» zum «Ort der Geselligkeit, des frohen Zechens und des Gesangs» schlechthin. Gesungen wurden Studenten-, Heimat- oder Wanderlieder. Nicht willkommen waren «Schnulzen, Schunkellieder und Händeklatschen als rhythmische Begleitung», wie es im Reglement der Weinstube hiess. Beifall wurde nur durch Klopfen auf den Tisch kundgetan. Und auch wenn der Wein seine Wirkung auf die Libido nicht verfehlte: Schmusen war in der «Oeli» verpönt.
Zu einem Stadtzürcher Kult wurde die «Balkenprobe», bei dem besonders akrobatisch Wagemutige vom Deckenbalken kopfüber herabhängend ein volles Glas Weisswein in einem Zug austrinken mussten, ohne etwas zu verschütten. Wer die Balkenprobe bestand, durfte seinen Namen an die Wand oder auf den Holztisch einritzen. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts war die Balkenprobe auch ein bürgerliches Initiationsritual gewesen. Nur wem sie gelang, wurde in einer Zürcher Studentenverbindung aufgenommen.
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