Das Messer als Statussymbol
Immer mehr Jugendliche tragen ein Messer auf sich. Laut Experten wollen sie damit männlich erscheinen. Die Zahl der Angriffe durch Minderjährige steigt rasant. - Von Clarissa Rohrbach
Ein Fünftel der Jugend trage ein Messer mit sich. Symboldbild: AdobeStock
Immer mehr Jugendliche tragen ein Messer auf sich. Laut Experten wollen sie damit männlich erscheinen. Die Zahl der Angriffe durch Minderjährige steigt rasant. - Von Clarissa Rohrbach
«Wer kein Messer trägt, ist uncool.» Farzad S.* arbeitet als Security an Hotspots wie der Langstrasse. Was er sieht, beunruhigt ihn. Viele Jugendliche würden im Ausgang ein Messer mit sich tragen. Es habe sich viel verändert, seit er in diesem Alter war. «Früher regelte man einen Streit mit den Fäusten», sagt der 31-Jährige, «heute zuckt man das Messer und es artet schnell aus, vor allem wenn Alkohol und Drogen im Spiel sind». Laut Farzad S. führt der Gruppenzwang zum Tragen von Messern. «Wer kein Messer hat, gehört nicht zur Gruppe und wird als Opfer dargestellt.»
Der Iraner trägt selbst seit seinem zwölften Lebensjahr ein Messer mit sich. «In meiner Kultur ist das eine Tradition», sagt Farzad S. In seinem Heimatland habe jeder Junge ein Messer im Sack. Es sei praktisch zum Schneiden und vermittle einem ein Gefühl der Sicherheit. Jemanden mit dem Messer verletzt habe er noch nie. Farzad S. findet, dass die Situation in Zürich ausgeartet ist. «Früher ging ich abends ohne Sorge an das Seebecken, heute fürchte ich, dass mich die Jugendlichen angreifen.»
Laut Erhebungen tragen ein Fünftel der 12- bis 18-Jährigen ein Messer auf sich. Die Polizei führt immer wieder Kontrollen durch. Letztes Jahr wurden laut SRF alleine im Kanton Zürich 1500 Messer beschlagnahmt. Die meisten davon seien nicht illegal, könnten aber präventiv eingezogen werden, denn im Ausgang hätten Waffen nichts zu suchen, sagt die Polizei. Es kam auch zu mehr Straftaten mit einer Schnitt- oder Stichwaffe, wie die Kriminalstatistik festhält. So verzeichneten die Behörden letztes Jahr 105 Attacken, 26 mehr als im Vorjahr und doppelt so viele wie noch vor fünf Jahren.
Die vermehrten Attacken der Jugendlichen bewegen auch die Politik. Zurzeit ist eine schriftliche Anfrage der Gemeinderäte Yves Peier (SVP) und Jean-Marc Jung (SVP) beim Stadtrat hängig. Darin fragen die beiden Politiker, ob die Stadt Zürich eine besondere Sicherheitsstrategie bezüglich Schneid- und Stichwaffen habe, ob Messerverbotszonen denkbar wären und ob die Strafen für das Mitführen von Messern verschärft werden könnten. Laut Peier und Jung wurden letztes Jahr fast ein Drittel der Angriffe mit Messern von Jugendlichen verübt. Für viele gehöre es dazu, sich zu bewaffnen, um sich «draussen» verteidigen zu können. «Das ist der falsche Weg und erhöht die Gefahr, zum Täter zu werden», sagen die beiden, «jedes Messer, das rechtzeitig abgenommen wird, ist eine Gefahr weniger».
Eine nicht repräsentative Umfrage der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, die im Jahr 2022 mit rund 2000 Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 18 Jahren durchgeführt wurde, zeigt die Gründe auf, wieso Messer bei den Jungen so beliebt sind. Das Mitführen von Messern sei ein jugendkulturelles Phänomen, sagt Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der ZHAW und Autor der Studie. «Junge Männer unterstreichen mit Gewalt- und Dominanzgebaren ihre Männlichkeit, das Messer ist ein Symbol, das dazu dient.» Laut Baier gilt in diesen Kreisen ein Jugendlicher mit einem Messer als «richtig harter Kerl» und geniesst unter den Gleichaltrigen Anerkennung. Wer nicht mitmache, gelte als uncool und werde ausgeschlossen. «Im Jugendalter ist die Peergruppe von sehr grosser Bedeutung. Dazuzugehören ist für junge Menschen enorm wichtig, man tut fast alles, um den Anschluss zu finden», sagt Baier.
Laut Baier spielt die Nationalität keine Rolle. In seiner Studie hält er fest, dass 14 Prozent der Schweizer ein Messer mit sich führen. Bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind es 14,6 Prozent, also praktisch gleich viel. Wichtiger sei hingegen das Bildungsniveau. Höher gebildete Jugendliche seien weniger bereit, ein Messer zu tragen als sozial benachteiligte. Baier meint, dass die meisten Jugendlichen unbedacht ein Messer mit sich führen, wie etwa das Smartphone, ohne die Absicht, dieses einzusetzen. «Doch in Konfliktsituationen ist das rationale Handeln ausgeschaltet, dann zieht man reflexmässig das Messer.»
Um dem Problem entgegenzuwirken, hat die Stadtpolizei Zürich zusammen mit der Kantonspolizei Basel-Stadt eine Präventionskampagne lanciert. In einem Kurzfilm mit dem Titel «Dini Muetter will dich nit im Knascht bsueche» sollen Jugendliche dazu gebracht werden, ihr Messer zu Hause zu lassen. Das Video wird in Zürcher Schulen gezeigt. Auch bei der Offenen Jugendarbeit Zürich (OJA) setzt man auf Prävention. «Wir merken, dass Messer ein grosses Thema sind bei den Jugendlichen», sagt Co-Geschäftsführerin Natalie Bühler. Sie würden in den Medien Geschichten aufgreifen und fragen, ob man mit einem Messer sicherer unterwegs sei. «Wir sagen ihnen klar, dass ein Messer keine Sicherheit gibt», sagt Bühler, «und dass das Mitführen eines solchen sehr gefährlich ist». Die meisten Jugendlichen hätten keine Ahnung, wie ein Messer eingesetzt werde, und es sei ihnen nicht bewusst, dass sie damit sich selber und andere verletzen könnten, obwohl sie das nicht wollen.
Für Dirk Baier ist klar: Man muss das Bild vom Messerträger verändern. «Nicht als cool und stark, sondern als Zeichen von Schwäche und als Versagermerkmal.» Schulen und Eltern könnten dies mit Prävention erreichen, aber dafür brauche es Zeit.
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