Unterstützen sich bei der Suche nach individuellen Biomarkern und den jeweils optimalen Behandlungswegen bei Krebserkrankungen: Axel Mischo (Leiter Tumor-Zentrum), Sylvia Höller (Chefärztin Institut für klinische Pathologie) und Yannick Buccella (Oberarzt Onkologie und Hämatologie) am Stadtspital Zürich. Bild: Enzo Lopardo
26.11.2024 15:19
Die Schlüssel gegen Krebs
TUMORMEDIZIN Im letzten Beitrag im Hinblick auf den Tumortag im Stadtspital Zürich am 30.11. erklären Sylvia Höller (Chefärztin Institut für klinische Pathologie), Yannick Buccella (Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie) und Axel Mischo (Leiter Tumorzentrum) die Vorteile der personalisierten Tumormedizin. - Von Sacha Beuth
Was ist eigentlich personalisierte Tumormedizin?
Axel Mischo: Damit ist eine hochspezifische Diagnostik und die daraus abgeleitete Therapie gemeint, die die unterschiedlichen genetischen Ursachen einer Krebserkrankung identifiziert und die Behandlung auf die individuellen Bedürfnisse anpassen kann. Jeder hat seine ganz eigenen biologischen Besonderheiten beziehungsweise individuelle genetische Ausstattung. Das führt dazu, dass die gleiche Tumorerkrankung bei verschiedenen Menschen unterschiedliche Charakteristika aufweisen kann und die Medikamente darauf hin spezifisch abgestimmt werden müssen.
Aber ist das nicht ein alter Hut? War Tumormedizin nicht schon immer auf den jeweiligen Patienten abgestimmt?
Yannick Buccella: Nicht in diesem Masse. Vor 20, 25 Jahren hat der Pathologe unter dem Mikroskop eine Tumorgewebeprobe angeschaut und die Diagnose Lungenkrebs gestellt. Dann bekam der Patient in der Folge die gleichen Medikamente und die gleiche Behandlungsmethode wie die anderen Patienten, bei denen die gleiche Diagnose gestellt wurde. Dank der Fortschritte in der Molekularpathologie in den letzten Jahren sind wir heute in der Lage, jeden Tumor bei jedem Patienten genauer zu charakterisieren und oft damit eine individuell zusammengestellte Therapie zu konzipieren.
Wie muss man sich das in der Praxis vorstellen?
Sylvia Höller: Es geht darum, die Vielzahl an Informationen, die sich aus der Analyse von molekularpathologischen Daten ergeben, zu katalogisieren und herauszufinden, welche Veränderungen in der DNA welche Wirkungen haben. Dies ermöglicht dann dem Onkologen das Krebsmedikament auszuwählen, dass die unerwünschten genetischen Veränderungen blockiert und/oder krebszerstörende Mechanismen ausgelöst werden können.
Buccella: Man kann sich das vielleicht so vorstellen, wie wenn man viele Schlüssel und viele Schlüssellöcher zu Türen vor sich hat. Die Zacken und Rillen müssen zueinander passen. Passt der Schlüssel nicht genau ins Schlüsselloch, bekommt man die Türe entweder gar nicht auf oder nur mit murksen, also nicht so effizient wie möglich.
Ist nach dieser molekularpathologischen Analyse immer klar, welcher Schlüssel beim jeweiligen Patienten angewendet werden muss?
Höller: Es ist zumindest klar, ob ein Schlüsselloch für einen bestimmten Schlüssel vorhanden ist oder nicht. Um bei dem Bild zu bleiben gibt es auch Türen ohne für die Therapie nutzbares Schloss. Das weitere Vorgehen wird dann im Tumorboard besprochen. Im Stadtspital Zürich können wir dies glücklicherweise sehr effizient umsetzen.
Was ist denn im Stadtspital Zürich diesbezüglich besser als anderswo?
Höller: Die kurzen Wege, die hohe Kontinuität im Board – man hat meist mit den gleichen Kollegen zu tun – und das intuitive gegenseitige Verständnis.
Mischo: Es ist in unserem Beruf essentiell, dass Infos zwischen den einzelnen Bereichen sehr schnell fliessen. Braucht man noch eine Info, reicht in der Regel der Griff zum Telefonhörer.
Gab es durch die personalisierte Tumormedizin auch Veränderungen bei der Krebsbehandlung?
Buccella: Ja, viele dieser neuen Therapieformen sind effektiver und verträglicher geworden.
Mischo: Und es konnten Tabletten entwickelt werden, die zielgerichtet auf spezielle Mutationen wirken. Zudem hilft die molekularpathologische Diagnostik auch bei der Frage, ob ein mögliches Risiko auch bei Angehörigen bestehen könnte.
Inwiefern?
Mischo: Zwar entstehen die meisten genetischen Mutationen spontan im Tumor selbst, aber es gibt auch bei bestimmten genetischen Veränderungen ein Risiko, dass diese vererbt werden können, etwa beim Brust- oder Eierstockkrebs.
Buccella: Auch bei Darmkrebs können sich Verdachtsmomente auf eine vererbte «Reparaturschwäche» ergeben.
Höller: Die Pathologie kann nur Aussagen zu einer genetischen Veränderung im Tumor selbst machen. Für den Nachweis von genetischen Veränderungen im Patienten selbst und damit seiner Vererbungsfähigkeit ist die medizinische Genetik zuständig.
Was, wenn man keine Gewebeprobe eines Tumors entnehmen kann?
Buccella: Das kommt gelegentlich vor, etwa wenn der Tumor sich an einer schlecht erreichbaren Stelle im Körper befindet, sodass man nur mittels einer grossen Operation eine Gewebeprobe entnehmen kann. In solchen Fällen ist es eine Risikoabwägung: den Eingriff machen oder auf eine Alternative wie die Liquid-Biopsie – das ist eine DNA-Analyse über das Blut – zurückgreifen. Nur gibt es leider Tumore, die nur wenig DNA ins Blut abgeben. Und selbst wenn sich dort Mutationen finden, weiss man noch nicht zwingend, ob die gutartig sind oder nicht.
Tumortag, 30. November
Stadtspital Zürich
«Neues in der Tumormedizin»
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Wann: 30. November 2024, 10 bis 13 Uhr, Stadtspital Zürich Triemli, Birmensdorferstrasse 497
Eintritt gratis.
Anmeldung: www.triemli.ch/tumortag