Die Strasse als Abfalldeponie
Zürcher stellen oft ihre alten Möbel vors Haus. Trotz Kulanz der Behörden drohen hohe Bussen. Politiker befürchten, die Abschaffung der Entsorgungs-Coupons befeuere das Problem. - Von Clarissa Rohrbach
Laut Politiker dürfte die illegale Entsorgung mit der Abschaffung der Coupons zunehmen. Bild: CLA
Zürcher stellen oft ihre alten Möbel vors Haus. Trotz Kulanz der Behörden drohen hohe Bussen. Politiker befürchten, die Abschaffung der Entsorgungs-Coupons befeuere das Problem. - Von Clarissa Rohrbach
Zwei weisse Stühle stehen auf der Rotachstrasse in Wiedikon. Darauf haftet ein Zettel mit der Inschrift «Gratis zum Mitnehmen». Auf der Bank daneben liegen alte Bücher und Teller. Immer wieder stellen Zürcher Gegenstände, die sie nicht mehr wollen, auf die Strasse, in der Hoffnung, dass sie jemand wieder gebrauchen kann und mitnimmt. Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ) nimmt pro Jahr 500 Tonnen illegal entsorgten Sperrmüll mit. Laut ERZ-Sprecherin Maria Colón sind die Gründe für illegale Entsorgung vielfältig. Mal fehle es an Wissen, mal an Zeit. Doch in den meisten Fällen schwinge Unbekümmertheit oder Gleichgültigkeit mit.
Der Sperrmüll auf der Strasse regt viele Anwohner auf. Jährlich gehen bei der Stadt 2700 Meldungen zu illegalen Deponien ein. Auf der Online-Plattform «Züri wie neu» kann man Schäden und Mängel an der Infrastruktur der Stadt Zürich melden. Im Falle illegaler Entsorgung sind drei Mitarbeitende von ERZ unterwegs, um die Abfallsünder anhand von Hinweisen ausfindig zu machen. Es kann laut Colon eine Anzeige zuhanden der Stadtpolizei erfolgen. Diese entscheidet, ob die Person gebüsst wird. Bussen können bis zu 50 000 Franken betragen. «Doch bei Gegenständen auf der Strasse, anders als Nichtgebühren-Säcke in den Kehricht-Containern, gibt es in der Regel keine Hinweise zur Urheberschaft», sagt Colon.
Die Stadt zeigt sich kulant und toleriert «gut erhaltene Gegenstände mit einem Hinweis zur Gratis-Mitnahme» auf der Strasse für einen Tag. Holt man seine alten Sachen abends wieder ins Haus, ist alles in Ordnung, lässt man sie hingegen draussen stehen, macht man sich laut Abfallgesetz des Kantons Zürich der «Verschmutzung des öffentlichen Raumes» schuldig. Die Stadt verfolgt laut Colon das Netto-Null-Ziel und eine Kreislaufwirtschaftsstrategie. Daher unterstütze ERZ das Weitergeben und Teilen von Gegenständen. «Was weitergegeben wird und nicht in der Kehrichtverwertungsanlage landet, schont das Klima», sagt Colon. Auch «Tagblatt»-Leserin Alexandra Suter, die regelmässig Gegenstände von der Strasse sammelt, meint, das sei ein Akt gegen die allgemeine Verschwendung. «Wir kaufen ohnehin viel zu viel neue billig produzierte Ware.» Suter hat bereits einen Staubsauger, Blumentöpfe und eine Stahlpfanne vor ihrem Haus gefunden.
Die Stadt verfolgt eine neue Entsorgungsstrategie, wie sie im September bekanntgegeben hat. Deswegen wurden die Gratis-Entsorgungscoupons abgeschafft, die Zürcher berechtigten, 400 Kilogramm Sperrgut in den zwei Recyclinghöfen der Stadt gratis zu entsorgen. Stattdessen wollen die Behörden auf mobile Recyclinghöfe in den Quartieren setzen. Die Begründung von Tiefbauamt-Vorsteherin Simone Brander (SP) unter anderem: So würden Autofahrten nicht mehr mit Gutscheinen für kostenloses Recycling belohnt. «Der mobile Recyclinghof hat den Zweck, stadtweit quartiernahe Entsorgungsmöglichkeiten anzubieten, weil die Mehrheit der Stadtzürcher Bevölkerung einerseits kein Auto hat und andererseits weil in vielen Fällen nur kleine Mengen entsorgt werden», sagt ERZ-Sprecherin Colon. Trotz Angebote in den Quartieren geht sie nicht davon aus, dass sich die Menge illegal deponierter Abfälle spürbar verändern wird. Die grosse Mehrheit entsorge ohnehin richtig.
Anders sieht das SVP-Gemeinderat Stephan Iten. In einem Postulat schreibt er, dass mit dem Verzicht auf die Coupons die Stadt vermehrt die illegale Entsorgung riskiere. Niemand werde ein Sofa oder einen Schrank mit dem Velo zu einem mobilen Recyclingstandort transportieren. Die Entsorgungs-Coupons seien eingeführt worden, um das illegale Entsorgen zu verhindern. Die Begründung, dass eine Mehrheit der Bevölkerung kein Auto habe, sei ziemlich vage, da viele ein Fahrzeug für die Entsorgung mieten würden. Zudem könne das Abholen des illegalen Sperrmülls selten einer Person zugeordnet werden, sodass für ERZ ein hoher zusätzlicher Aufwand entstehe. Deswegen komme ein Recyclinghof, in dem der Sperrmüll gratis abgegeben werden kann, die Stadt günstiger.
Der Gemeinderat hatte sich gegen die Abschaffung der Gratis-Entsorgungscoupons für Sperrgut gewehrt. Gleich drei Vorstösse von SVP, FDP und AL forderten, dass diese beibehalten werden. Und doch bekamen die Zürcher kürzlich die jährliche Post von ERZ ohne die Coupons. Zurzeit berät die zuständige gemeinderätliche Kommission über den Ausbau des Recyclingangebots. Bis 2026 sollen die Cargotrams verschwinden, dafür an bis zu 30 neuen Standorten mobile Recyclinghöfe entstehen. Dort werden drei bis vier Fahrzeuge an bestimmten Tagen bis 19 Uhr Abfall entgegennehmen. Die Beseitigung von Sperrgut wird demnächst kostenpflichtig. In den Entsorgungshöfen Looächer und Werdhölzli sollen 100 Kilogramm Abfall 20 Franken kosten.
FDP-Gemeinderat Martin Bürki will bei der Debatte weiter für die Entsorgungs-Coupons kämpfen. Bis die mobilen Recycling-Angebote ausgebaut seien, brauche es die bisherigen Coupons als Übergangslösung, sagte er der NZZ. Das Übergangsregime sei nachteilig für Personen, die weit entfernt von den Entsorgungsstellen wohnten, aber grosse Gegenstände loswerden wollten. Bis der Stadtrat entscheidet, dürfte es weiterhin Stühle auf der Strasse geben.
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