Tschüss Schnürlischrift!
In Zürcher Schulen wird die neue Basisschrift unterrichtet. Die Behörden meinen, dass damit der Schreibprozess vereinfacht wird. Experten beklagen das Ende der Schnürlischrift. - Von Clarissa Rohrbach
Statt der Schnürlischrift lernen Kinder in Zürcher Schulen die neue Basisschrift. Das sorgt für Kritik. Bild: Basisschrift.ch
In Zürcher Schulen wird die neue Basisschrift unterrichtet. Die Behörden meinen, dass damit der Schreibprozess vereinfacht wird. Experten beklagen das Ende der Schnürlischrift. - Von Clarissa Rohrbach
Als «Tagblatt»-Leserin Hannah Roth ihrer Enkelin die Geburtstagskarte überreichte, herrschte grosses Rätseln. Die 83-Jährige hatte ihre Glückwünsche von Hand, in Schnürlischrift, geschrieben. Doch das Kind konnte diese nicht lesen. Denn: In Zürcher Schulen wird diese seit dem Schuljahr 2016/2017 nicht mehr unterrichtet. Für Roth geht dabei ein Stück Tradition verloren. «Ich weiss, dass ich zwar nostalgisch bin, doch auch Junge müssten die Schnürlischrift beherrschen, sonst entsteht eine Lücke zwischen den Generationen.» Roth ist nicht alleine, bei der Abschaffung der Schnürlischrift war die Rede von Verluderung der Schrift und einer Larifari-Stimmung in der Schule.
Die Schnürlischrift, ehemals auch Schweizer Schulschrift genannt, wurde 1947 eingeführt und hat ihre Wurzeln im Klassizismus des 17. und 18. Jahrhunderts. Die Bogen und Schlaufen brachten Schüler und Lehrer immer wieder zur Verzweiflung. Um den Schreibprozess zu vereinfachen, wurde die Basisschrift in den Schulen eingeführt. Diese wurde 2006 vom Glarner Grafiker Hans E. Meier entwickelt und erstmals im Kanton Luzern eingeführt. Die meisten Kantone folgten danach einer Empfehlung der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren (D-EDK), die 2014 die koordinierte Umstellung auf die teilverbundene Basisschrift vorsah, so auch Zürich.
Laut Myriam Ziegler, Chefin des Volksschulamts des Kantons Zürich, war das Ziel der Einführung der Basisschrift, den Schreibprozess für die Schülerinnen und Schüler zu vereinfachen. «Die Basisschrift ist eine gut lesbare und leicht erlernbare Schrift, die ein effizientes und schnelles Schreiben ermöglicht», sagt sie. Im Vergleich zur Schnürlischrift reduziere diese den Lernaufwand für komplexe Buchstabenverbindungen. Ziegler meint, die Effekte der Basisschrift zeigten sich in der dritten und vierten Klasse, in der die Kinder lesbarer und flüssiger schreiben als früher. «Sie sind auch motivierter, da das Schreiben leichter von der Hand geht.»
Bevor er verstarb, sagte Hans E. Meier zum «Tages-Anzeiger», dass die Schnürlischrift nicht kindergerecht sei. Das sklavische Verbinden der Buchstaben komme vom Irrglauben, man sei so schneller. Dabei mache man mehr Umwege. «Die Kinder tun mir leid, sie werden dazu gezwungen, aber nachher macht das kein Mensch mehr», sagte Meier. Meiers neue Schrift hat sich bewährt. Eine Studie der Pädagogischen Hochschule Luzern hat 96 Kinder der zweiten und dritten Klasse untersucht. Die eine Hälfte hatte die Basisschrift erlernt, die andere die Schnürlischrift. Dabei konnten die Teilnehmer mit der Basisschrift mehr Text in der gegebenen Zeit schreiben und sich geläufiger ausdrücken. «Diese bessere Geläufigkeit ging nicht – wie oft befürchtet – auf Kosten der Leserlichkeit, die Drittklässler schrieben im Gegenteil auch signifikant leserlicher», sagte Studienleiterin und Dozentin Sibylle Hurschler Lichtsteiner zur «NZZ». Auch die Lehrer ziehen eine positive Bilanz. «Die Rückmeldungen waren positiv», sagt Dagmar Rösler, Zentralpräsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz. Das Erlernen von einzelnen Buchstaben sei sicherlich einfacher und die Verbindungen logischer.
In Zürich wurden die Kurse vom Schriftdidaktiker Jürg Keller geleitet, der auch die drei Schulbücher zur Basisschrift entwickelte. Er kritisiert die neue Schrift. «Es zeigt sich jetzt in der Schulpraxis, dass die Einführung der Basisschrift ein zu früher Schnellschuss war. Es gibt wesentlich bessere Methoden und Schriftvorlagen», sagt er. Da nicht alle Buchstaben verbunden werden und es die freie Entscheidung der Kinder sei, Verbindungen wegzulassen, würden diese beim Schreiben zu viel überlegen. Das führe dazu, dass der Schreibfluss nicht flüssig sei. Zudem sei bei der Schnürlischrift die Richtung der Buchstabenabläufe zwingend gewesen. «Der Stift blieb auf dem Papier, das ist bequemer als diese Staggelischrift, bei der immer neu angesetzt wird», sagt Keller. Mit der Basisschrift würden die Kinder zwar etwa gleich schnell schreiben, doch es sei für sie mühsamer.
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