Spitex-Pfleger Milan Zivkovic überrascht einsame Patienten an Heiligabend mit Pizza und ein wenig Gesellschaft. Bild: Clarissa Rohrbach
24.12.2024 09:40
Der geschenkte Spitex-Besuch
Psychisch kranke Menschen sind an Weihnachten oft einsam. Pfleger Milan Zivkovic besucht seine Patienten am Heiligabend zuhause. Seine Spitex geht über den Auftrag hinaus und schenkt Bedürftigen Nähe. - Von Clarissa Rohrbach
Als sie ihn vor der Türe sah, brach sie in Tränen aus. Pflegefachmann Milan Zivkovic wusste, dass seine Patientin den Heiligabend alleine verbrachte, und kreuzte kurzentschlossen mit einer Pizza auf, um ihr Gesellschaft zu leisten. Die beiden assen und plauderten, der Abend war gerettet. «Niemand sollte an Weihnachten alleine sein», sagt er. Der 33-Jährige hat vor fünf Jahren die psychosoziale Spitex Plena Vita gegründet. Die ambulante Betreuung zuhause richtet sich an psychisch kranke Menschen, die Unterstützung in ihrem Alltag brauchen. Zivkovics Aufgabe ist, dass die Patienten in ihrem Alltag so stabil wie möglich bleiben. Doch an Heiligabend vergisst der Pfleger seine professionelle Rolle: «Ich bin dann einfach ein Mensch, die Grenze zwischen Betreuung und Nächstenliebe löst sich an diesem Abend auf.»
Für psychisch kranke Menschen ist Weihnachten besonders schwierig, das belegen auch Studien. «Es geht ihnen über die Festtage schlechter, die Einsamkeit wird offensichtlicher», sagt Zivkovic. Es gebe viele Gründe, wieso seine Patienten sozial isoliert seien. Einige hätten Angst vor der Anreise mit dem ÖV, andere Mühe mit Menschenmengen oder kein Geld für Geschenke. In der Gesellschaft herrsche ein Bild von Weihnachten als glückliches Familienfest. Psychisch kranke Menschen spürten den Druck, dass sie diesen Erwartungen nicht gerecht werden können. «Sie sind deprimiert, dass sie nicht wie andere sind, dass sie niemanden haben und alleine zuhause sitzen.»
Ein anderes Mal besuchte der Pfleger samt Chlausmütze eine ältere Patientin. Sie öffnete erstaunt die Türe, erwartete die Überraschung nicht. Schliesslich schaute sie zusammen mit Zivkovic Fernsehen. Es gebe aber auch andere Patienten, die sich nicht so freuen. «Einige sagten mir, sie seien es sich gewohnt, alleine zu sein, und schickten mich wieder weg.» Trotzdem: Wenn Zivkovic am Heiligabend von seiner Runde um Mitternacht wieder nach Hause ankommt, fühlt er sich gut. Er sei in einer grossen Familie aufgewachsen, er habe es immer sehr genossen, mit Onkeln und Cousins zu feiern. «Weihnachten ist für mich ein Miteinander, das will ich an meine Patienten weitergeben», sagt er. Die Besuche am Heiligabend verrechnet er deswegen nicht.
Vertrauen ist wichtig
Zivkovic hat an Weihnachten immer schon gearbeitet. Der Serbisch-Orthodoxe feiert Weihnachten erst am 6. und 7. Januar. Während seiner Anfänge in der Integrierten Psychiatrie Winterthur (IPW), dem Sanatorium Kilchberg und der Psychiatrischen Universitätsklinik (PUK) schaute er immer, dass auf den Stationen Weihnachtsflair aufkam. Und dass seine Kollegen freinehmen konnten. Auch heute entlastet er seine Mitarbeiter und betreut über Weihnachten das Nottelefon der Spitex. Zivkovic begann im Jahr 2014, Patienten, die nach einem Klinikaufenthalt Unterstützung brauchten, ambulant zu betreuen. Nach einem halben Jahr hatte er alleine bereits 20 Klienten und machte sich selbständig. Mittlerweile hat Zivkovic 17 Mitarbeiter und über 200 Patienten. «Meine Mitarbeiter pflegen eine persönliche Beziehung zu den Patienten, es braucht Vertrauen.» Deswegen sei ihm neben dem Fachlichen wichtig, dass die Pflegefachpersonen das Herz auf dem rechten Fleck haben.
Zivkovics Team stellt bereits im November sicher, dass die Patienten an Weihnachten gut aufgehoben sind. Es gebe gemeinnützige Angebote, wie diejenigen der Heilsarmee oder des Roten Kreuzes, um nicht alleine zu feiern. «Wir geben unser Bestes, damit die Leute an Weihnachten unter Menschen sind.» Dieses Jahr hat Zivkovic neben seinen spontanen Besuchen auch ein offizielles Weihnachtsfest in der evangelischen Kirche in Dübendorf organisiert. Rund 20 Patienten feierten am letzten Freitag mit Pizza und gespendetem Cola, sangen Weihnachtslieder, spielten Spiele und genossen die besinnliche Atmosphäre in der Kirche. Doch laut Zivkovic gab es auch Patienten, die sich nicht aus dem Haus getrauten. Diese wird er heute Abend wieder spontan besuchen. Denn Nähe ist für ihn das grösste Geschenk.