Schnäppchenjagd im Jelmoli
Nach 126 Jahren ist Schluss mit dem Jelmoli an der Bahnhofstrasse. Beim Ausverkauf herrscht grosser Andrang. Doch ein Augenschein zeigt – die meisten Kunden gehen leer aus. - Von Clarissa Rohrbach
Die Liquidation im bald schliessenden Jelmoli zieht Kunden im Sekundentakt an. Bild: CLA
Nach 126 Jahren ist Schluss mit dem Jelmoli an der Bahnhofstrasse. Beim Ausverkauf herrscht grosser Andrang. Doch ein Augenschein zeigt – die meisten Kunden gehen leer aus. - Von Clarissa Rohrbach
Alles muss weg. Auf den Glastüren des Jelmoli stehen mit grossen Lettern «Liquidation» und «Closing Deals». Die pinken und grünen Lettern informieren über die bittere Tatsache: Mit dem Traditionskaufhaus an der Bahnhofstrasse ist Ende Februar Schluss. Im Sekundentakt betreten die Kunden das Geschäft. Drinnen tummeln sich die viele Menschen. Vor dem Beauty-Bereich stehen die Regale mit Taschen, Schuhen und Schals dicht aneinander. Darauf kleben Schilder mit den Hinweisen: «Bis zu 70 % Rabatt». Die Leute wühlen in den Produkten und studieren die Preisschilder. Es herrscht eine ruhige Geschäftigkeit. Die meisten brauchen zwar nichts, schauen aber trotzdem, ob ihnen etwas gefallen könnte. Es scheint ein sorgfältiges Abwägen, ob man sich eines der Schnäppchen leisten soll.
Mit leeren Händen steht beispielsweise Luisa Franchini da. Die 51-Jährige meint, trotz Rabatten seien die Waren für sie viel zu teuer. Zudem stört sie sich an dem Chaos des Ausverkaufs. «Die Sachen liegen einfach herum, es ist schwierig, etwas zu finden», sagt die Italienerin, die in Zürich lebt. Den grossen Andrang findet sie nicht allzu hektisch. «Doch ich habe gehört, dass am Samstag die Hölle los war.» Viele Artikel seien nur um 20 Prozent reduziert worden, das lohne sich einfach nicht, meint sie, und zieht – eingehüllt in ihrer schwarzen Daunenjacke – ohne Beute von dannen.
Die 126-jährige Geschichte desJelmoli begann, als Franz AntonJelmoli 1899 das Kaufhaus an der Bahnhofstrasse eröffnete. Der Enkel italienischer Textilhändler schaffte damit ein Novum. Nach dem Vorbild der Pariser Grands Magasins verkaufte Jelmoli Waren zu fixen Preisen, so dass sich das Feilschen erübrigte. Die Zürcherinnen besuchten zahlreich das Warenhaus und genossen ein neuartiges Kauferlebnis, das es bisher in der Stadt so nicht gab. Für die Frauen war der Jelmoli ein Befreiungsschlag, da sie erstmals ohne männliche Begleitung unterwegs sein durften. Zudem schaffte das Warenhaus Arbeit für Frauen, welche sich stolz als «Jelmolianerinnen» bezeichneten.
Bis zu den 1990er-Jahren führte die Firma Jelmoli verschiedene Standorte in der ganzen Schweiz, welche sie aber wegen mangelnder Nachfrage schliessen musste. Nur der Flagship-Store in Zürich blieb bestehen. Nun sieht sich die Besitzerin Swiss Prime Site (SPS) gezwungen, sich auch von diesem geschichtsträchtigen Haus zu verabschieden. Als Grund für die Schliessung wurden der Online-Handel und das sich verändernde Konsumverhalten genannt. Beides bringe die Läden in Bedrängnis. Jelmoli-CEO Reto Braegger sagte zur «Bilanz», dass die Kunden noch möglichst lange ein ungetrübtes Einkaufserlebnis haben sollen, so dass sie nicht spürten, dass das Ende bevorstehe.
Noch heute sind die Verkäuferinnen stolz auf ihre Anstellung. An diesem Tag stehen sie an der Kasse und bedienen eine Kundin nach der anderen. Sie scannen die Produktetiketten schnell ein, falten die Kleider mit Sorgfalt und stecken sie in die weissen, hochwertigen Papiersäcke. Die Quittung stempeln sie mit der Aufschrift «Kein Umtausch». Sie sind zu allen freundlich und lassen sich vom Ansturm nicht aus der Ruhe bringen. «Wir haben zwar viel zu tun, aber es ist ok», sagt Abteilungsleiterin Dörte Pompl. Man erhalte Unterstützung von externen Mitarbeiterinnen, welche aushelfen, da der grosse Teil der Belegschaft ihre Stellen bereits verlassen hätten. Eine andere Angestellte füllt die provisorischen Kleiderstangen mit einem Stapel Pullis, es sei ein bisschen stressig, meint sie, ordnet die Kleider aber trotzdem liebevoll ein.
Trotz dem Getümmel herrscht an diesem Tag im Jelmoli Ruhe. Es liegen keine Kleider am Boden, aus den Lautsprechern tönt aktuelle Pop-Musik, welche die Leute in ihrem konzentrierten Suchen nicht stört. Auf der Rolltreppe blockieren zwei nackte Schaufensterpuppen den Zugang zu den oberen Etagen. Denn der Ausverkauf findet nur auf drei Stockwerken statt.
Erfolgreich beim Shoppen waren Anja Hermann (34) und Annette Theiler (41). Die Bankangestellten fanden Pullis mit 70 Prozent Rabatt. Im ersten Obergeschoss gäbe es viele Schnäppchen, meinen sie. Sie hätten sich darauf eingestellt, dass viele Leute hier seien, deswegen störe sie der grosse Andrang nicht. «Es ist ja nicht wirklich hektisch», meinen die beiden Damen. Dass Jelmoli nach so langer Zeit schliesse, stimme sie traurig. «Der Jelmoli gehört einfach zu Bahnhofstrasse.» Doch sie seien froh, dass mit Manor wieder ein Warenhaus an die gleiche Adresse einziehe.
Manor zieht nach den Renovationsarbeiten im 2027 an die Jel-moli-Adresse. 2020 musste der Laden seinen Standort an der Bahnhofstrasse verlassen, weil die Besitzerin Swiss Life die Miete sehr stark erhöhte. Manor wird im Gebäude 13 000 Quadratmeter auf drei Stockwerken belegen. In den oberen Etagen sollen Büros und auf der Dachterrasse ein Restaurant entstehen. Das Parkhaus bleibt geöffnet.
Nun schreitet ein pensioniertes Paar aus Pfäffikon (80) zielorientiert in den Glaspalast. Sie kaufen nichts, sondern gehen nur ins Restaurant essen. «Die Schliessung ist ein Riesenverlust», sind die Senioren überzeugt, «man war sich einfach daran gewöhnt, dass der Jelmoli da war.» Das rege Treiben im inneren des Ladens stört sie nicht. «Schliesslich wollen alle noch ein Schnäppchen ergattern, das ist verständlich.» Die Glastüre fällt hinter ihnen zu, diesmal noch nicht für immer.
Lade Fotos..