Termine ohne Smalltalk im Trend
Erste Zürcher Salons führen Termine ein, bei denen der Coiffeur nicht spricht. Für Kundinnen und Kunden ist das erholend, für die Branche hingegen eine Nische ohne Zukunft. - Von Clarissa Rohrbach
Beim Salon Drycut am Limmatplatz sollen sich Kunden in Stille vom Alltagsstress erholen. Bild: Drycut
Erste Zürcher Salons führen Termine ein, bei denen der Coiffeur nicht spricht. Für Kundinnen und Kunden ist das erholend, für die Branche hingegen eine Nische ohne Zukunft. - Von Clarissa Rohrbach
Plaudern beim Coiffeur. Für einige ist der Smalltalk im Salon ein willkommener Austausch, für andere eine Qual. Wer beim Haareschneiden nicht gerne spricht, hat nun die Möglichkeit, einen «stillen» Termin beim Coiffeur zu buchen. Immer mehr Salons führen den sogenannten «Silent Cut» (stiller Schnitt) ein. Vorreiterrolle spielte in Zürich der Coiffeur Drycut am Limmatplatz. Auf der Website des Unternehmens können Kunden mit einem Klick die Option wählen, dass sie nach der Besprechung des Haarschnitts die Ruhe geniessen. «Wir wollen keine Distanz zwischen Menschen schaffen, sondern auf die Bedürfnisse unserer Kundschaft eingehen», erklärt Geschäftsführer Stefan Keller.
Laut Keller entscheiden sich rund fünf Prozent der Kunden für den «Silent Cut». Die meisten seien von einem Tag voller Meetings und Gespräche gestresst und würden es geniessen, beim Coiffeur abzuschalten und Zeit für sich zu haben. Drycut hat als erster Salon in der Stadt 2023 das Angebot eingeführt. Es wird vor allem von Frauen mittleren Alters gebucht. Keller meint, auch für die Stylistinnen sei das stille Haareschneiden erholend. «Den ganzen Tag reden, kann kräftezehrend sein», sagt er. Zwar achten die Angestellten auf Signale wie geschlossene Augen oder einsilbige Antworten, wenn jemand keine Lust auf Smalltalk hat. Doch mit dieser Option des «Silent Cuts» sei von Anfang an klar, dass nicht gesprochen werde, ohne dass die Stylisten das herausspüren müssten.
Für Coiffeure gehört Smalltalk zum Beruf. Haareschneiden und reden, also Multitasking, ist für sie kein Problem. In der dreijährigen Lehre zählt der Verband Coiffure Suisse die «Freude am Kontakt mit Menschen» und eine «sehr gute Kommunikationsfähigkeit» zu den Anforderungen der Ausbildung. Laut Stefan Keller von Drycut hätten Coiffeure ein sehr gutes Gedächtnis, so dass sie sich an die Gespräche erinnern und ein persönliches Verhältnis zum Kunden aufbauen. «Für einige ist der Coiffeur wie ein Therapeut.» Viele Menschen würden in den Salon kommen, mit der Erwartung zu sprechen, sich auszutauschen. Vor allem ältere Leute, die oft einsam seien, würden den sozialen Kontakt geniessen. Es baue sich Vertrauen und eine persönliche Bindung auf. Und doch stellte Stefan Keller im Gespräch mit seinen Stylistinnen fest, dass das Bedürfnis für die «stille» Behandlungen existiere.
Ganz ein anderer Grund für die Einführung des «Silent Cuts» hatte das Team von Tina Berner, Co-Geschäftsführerin des Salons Curlish in Oerlikon. «Uns ist Inklusion sehr wichtig, wir wollen, dass sich bei uns alle wohlfühlen.» Es gebe Menschen, für die Smalltalk eine Herausforderung darstelle – sei es aus persönlichen Vorlieben oder aufgrund neurodiverser Eigenschaften. In ihrem Salon würden sich rund zehn Prozent der Kundinnen und Kunden für einen «Silent Cut» entscheiden, darunter sowohl junge als auch ältere Personen. «Die Nachfrage nach solchen Angeboten wird sicher steigen, weil viele Menschen diesen Raum der Ruhe schätzen», sagt Tina Berner. Auch die Stylistinnen würden es begrüssen, zwischendurch eine Stunde lang nicht sprechen zu müssen. Nicht jeder möchte während des Haareschneidens persönliche Themen mit einer fremden Person teilen. Für manche sei es angenehmer, still zu sein und den Moment in Ruhe zu geniessen. Die Möglichkeit, den «Silent Cut» im Voraus zu buchen, helfe auch Menschen, die Schwierigkeiten hätten, sich abzugrenzen. So sei von Anfang an klar, dass während des Haareschneidens nicht gesprochen werde.
Der Trend des «Silent Cut» entstand 2015 in England und wurde durch Corona beliebt. Denn während der Pandemie ist das Bedürfnis nach Ruhe und Erholung aufgekommen. «Es gibt einen allgemeinen Trend hin zu ‚weniger ist mehr’ in der Kommunikation», sagte Juliane Schröter, Sprachwissenschaftlerin an der Universität Genf, zum «Blick». Dank der Entschleunigung während Corona seien Trends wie Digital Detox und Slow Life beliebt geworden.
Doch es gibt auch Salons, bei denen die Stille undenkbar ist. «In meinem Salon kenne ich niemanden, der nicht reden will. Alle reden!», sagte die Zürcher Coiffeuse Tanja Götz zur «NZZ». Auch Martin Huwyler, Vizepräsident des Verbands Coiffeur Suisse, ist gegenüber dem «Silent Cut» skeptisch. «Es ist zwar der neuste Trend auf dem Markt, doch meiner Meinung nach ist dieser nicht mehrheitsfähig.» Er habe 38 Jahren Erfahrung in der Branche und sehe, dass die meisten kommen, um zu plaudern. Kommunikation sei ein wichtiger Bestandteil des Berufs. Er erlebe immer wieder, dass zwischen Coiffeusen und Kundinnen eine Freundschaft entstehe.
Huwyler, der einen Salon in der Lenzerheide führt, erklärt sich den Trend mit der konstanten Berieselung mit Informationen durch Social Media. Trotzdem ist er überzeugt, dass das Bedürfnis nach einem stillen Haareschneiden nicht gross ist. «Es ist jedem Salon überlassen, ob man den «Silent Cut» anbieten will, das entscheidet man anhand der Kundschaft und deren Vorlieben», sagt Martin Huwyler. Er sieht aber auch ein Problem mit den Räumlichkeiten. Ein Salon bestehe aus einem offenen Raum, in dem es leicht laut werden kann. Um komplette Stille zu haben, müsste man laut Huwyler eine Kabine einbauen. «Ich kenne niemanden, der einen Salon umstellen will, um «Silent Cuts» anbieten zu können.» Kunden würden wegen der Atmosphäre und den Personen zum Coiffeur gehen. Wenn man stumm dasitze, gehe der Reiz am Coiffeur-Besuch verloren.
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