Wohnen als Chance
In Zürich entsteht die erste WG für inklusives Wohnen. Menschen mit und ohne Beeinträchtigung leben zusammen und profitieren voneinander. - Von Ginger Hebel
Nach Bern soll auch in Zürich eine inklusive WG entstehen. Blindspot
In Zürich entsteht die erste WG für inklusives Wohnen. Menschen mit und ohne Beeinträchtigung leben zusammen und profitieren voneinander. - Von Ginger Hebel
«Wir wollen Menschen mit Beeinträchtigung ins Leben inkludieren, nicht ausgrenzen», sagt Gründer und Co-Geschäfsführer Jonas Staub von der Organisation Blindspot. Er setzt seit vielen Jahren inklusive Wohnkonzepte in der Schweiz um und bringt Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zusammen. Im Kreis 6 entsteht derzeit Zürichs erste inklusive Wohngemeinschaft. Junge Menschen zwischen 18 und 30 Jahren teilen sich ein Zuhause und gestalten gemeinsam selbstbestimmt ihren Alltag. Menschen mit Beeinträchtigung wagen den Schritt aus dem Heim in die eigene Wohnung. «Viele Betroffene können nicht selbst wählen, wo sie wohnen wollen. Sie leben im Heim oder auch im Erwachsenenalter noch bei den Eltern. Festgefahrene Strukturen aufzubrechen ist gar nicht so einfach», sagt Jonas Staub.
Mit Wohngemeinschaften für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung verfolgt Blindspot das Ziel, eine inklusive Gesellschaft zu gestalten, in der alle Menschen gleichberechtigt teilhaben können. In Bern gibt es derzeit zwei solcher WGs, in Zürich ist eine in Planung. Fünf junge Menschen werden künftig unter einem Dach leben, voneinander profitieren und gegenseitigen Respekt erfahren. Tino* (*Name der Redaktion bekannt) hat sich soeben um einen WG-Platz beworben. «Ich habe mich für eine inklusive WG entschieden, weil ich meinen Horizont erweitern und neue Erfahrungen sammeln möchte. Gleichzeitig ist es mir wichtig, aktiv zu einer Gesellschaft beizutragen, in der Menschen mit und ohne Beeinträchtigung selbstverständlich zusammenleben.» Ein weiterer Bewerber, der noch auf eine Zu- oder Absage wartet, hatte bislang noch nie von Blindspot gehört, konnte sich aber nach einer kurzen Recherche sofort für die Projekte und Inklusionsarbeit der Organisation begeistern. Das innovative Wohnmodell schafft ein Umfeld, das gemeinsames Lernen, gegenseitige Unterstützung und soziale Teilhabe fördert. Ein pädagogisches Team wird die Bewohnenden nach Bedarf begleiten.
Per August werden noch zwei Menschen mit körperlicher oder psychischer Beeinträchtigung gesucht, die interessiert daran sind, ein Zimmer in einer renovierten 6-Zimmer-Wohnung in Zürich mit drei Balkonen zu beziehen. Kostenpunkt: zwischen 615 bis 833 Franken pro Monat, je nach Zimmer. «Es melden sich sehr viele junge Menschen ohne Beeinträchtigung, die gerne in einer inklusiven Wohngemeinschaft leben möchten. Das freut uns», sagt Jonas Staub, betont aber, dass sich Inklusion nicht romantisieren lasse. Menschen mit psychischen Problemen trauen sich selbstständiges Wohnen unter Umständen nicht zu oder es wird ihnen von Betreuern oder Familienmitgliedern eingeredet, dass sie betreutes Wohnen benötigen. «Die Weichen sind gestellt. Aber solche Wohnprojekte umzusetzen, ist nicht immer einfach, weil es ein Schritt aus der Komfortzone bedeutet», sagt Staub. Bis Ende 2023 unterstützte der Kanton ausschliesslich Institutionen für die Begleitung und Betreuung von Menschen mit Beeinträchtigung. Letztes Jahr ist das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft getreten. Der Kanton Zürich hat neben Bern eine Vorreiterrolle in der Schweiz übernommen. Mit dem neuen System SEBE erhalten nun auch Menschen mit Beeinträchtigung finanzielle Unterstützung, wenn sie in einer eigenen Wohnung oder WG leben. «Das ist ein wichtiger Schritt für die Autonomie der betroffenen Personen», sagt Jonas Staub. Es sei wichtig, dass alle Menschen selbstbestimmt und aktiv am Leben teilhaben können.
Weitere Informationen: www.blindspot.chblindspot.ch
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