Aus Toten soll Erde werden
Im Kanton Zürich soll es legal werden, Verstorbene zu kompostieren. Bürgerliche finden die Praxis pietätlos und absurd. Die Stadt würde die Reerdigung sofort einführen, das Interesse sei gross. - Von Clarissa Rohrbach
Neues Leben durch Leichen: Mit der Reerdigung werden Verstorbene zu Erde kompostiert. Symbolbild: Unsplash
Im Kanton Zürich soll es legal werden, Verstorbene zu kompostieren. Bürgerliche finden die Praxis pietätlos und absurd. Die Stadt würde die Reerdigung sofort einführen, das Interesse sei gross. - Von Clarissa Rohrbach
Tote kompostieren. Dies verlangt eine Einzelinitiative von Herbert Ammann aus Kilchberg. Der 76-Jährige fordert, dass die sogenannte Reerdigung neben den heute zwei erlaubten Bestattungsformen Kremation und Erdbestattung legal wird. Dabei soll der Körper von Verstorbenen wieder zu Erde werden. Dies geschieht in einer mit Stroh, Heu, Blumen und Kräutern belegten Kapsel, die sich langsam dreht. Mikroorganismen zersetzen während 30 bis 40 Tagen den Leichnam bis nur Humus und Knochen übrig bleiben. Letztere werden zermahlen und der Erde beigefügt. Diese kann man dann privat bestatten oder im Friedhof mit einem herkömmlichen Grab. Ammann meint, in seinem Alter habe er ein persönliches Interesse an einer zusätzlichen Bestattungsform. «Die Reerdigung ist technologisch für eine Einführung bereit und dürfte gesellschaftlich breit akzeptiert sein», sagt er. Bisher ist es in allen Kantonen verboten, menschliche Körper zu kompostieren.
Ammanns Vorstoss fand kürzlich im Kantonsrat grossen Anklang. So sagte Benjamin Krähenmann (Grüne), dass es sinnvoll sei, wenn die Nährstoffe des Körpers erhalten bleiben und neues Leben nähren. Auch Sandra Bienek (GLP) fand die Reerdigung sehr pietätvoll. Als einzige Partei stellte sich die SVP quer. Kantonsrat Ueli Bamert findet die Idee, aus Verstorbenen Humus zu machen sogar absurd. «Was geschieht mit der Erde? Niemand wird mit dem Gedanken umgehen können, in seinem Blumenbeet Reste von Verstorbenen zu haben», sagt er. Zudem habe er ethische Bedenken. Man lasse den Körper zersetzen und verwende diesen wieder, das verletze die Würde der Verstorbenen, meint Bamert. Er frage sich auch, was mit den Resten von Medikamenten und andere im Körper enthaltene Schadstoffe passiere. Eine dritte Bestattungsform sei nicht nötig, wenige Personen würden diese wählen, und der Aufwand sei unverhältnismässig hoch. Trotz der Kritik der SVP winkte der Kantonsrat den Vorstoss mit 101 Stimmen durch. Nun muss der Regierungsrat einen Bericht verfassen, wie er das Anliegen umsetzen will.
Lina Hänni, Mitgründerin des Vereins «Werde Erde», welcher sich für die Terramation einsetzt, wie die Reerdigung auch genannt wird, widerspricht Bamert. «Während des Abbaus des Körpers durch die Mikroorganismen werden Schadstoffe weitgehend neutralisiert», sagt sie. Wenn es um die Würde der Verstorbenen ginge, müsse man diese Form der Bestattung in Relation mit den anderen setzen. Bei einer Kremation verbrenne man den Leichnam bei bis zu 1000 Grad, bei einer Erdbestattung liege dieser zwei Meter unter der Erde. Da sei die Terramation ein vergleichsweise sanfter Prozess. Laut Hänni wird dabei der Kreislauf der Natur geschlossen. «Aus dem Tod entsteht etwas Neues, das ist ein schöner Gedanke.» So könnten Angehörige beispielsweise vor einem Rosenbusch trauern, der aus der kompostierten Erde entstanden ist. Doch Hänni hat auch Verständnis für die Skepsis. Auch bei der Einführung der Kremation vor 130 Jahren hätten ganz wenige Menschen diese gewählt. Heute macht diese 87 Prozent der Bestattungen aus. Hänni meint, das Interesse an der Terramation wächst. Ihr Verein zählt bereits 380 Mitglieder und es werden immer mehr.
Zurzeit ist die Terramation nur in zwölf US-Bundesstaaten legal, im deutschen Schleswig-Holstein wird aktuell ein Pilotprojekt durchgeführt. In Deutschland kostet eine Terramation mit 2900 Euro weniger als eine Kremation (bis zu 6000 Euro) oder eine Erdbestattung (bis zu 6300 Euro). Die Terramation ist somit nicht nur günstiger, sondern auch ökologischer, wie Lina Hänni hervorhebt. «Es wird weniger Energie verbraucht und es entstehen keine toxischen Nebenprodukte wie bei der Kremation», sagt sie. Ausserdem würde das CO2 in die Erde gebunden. Zudem breche die Diskussion über die Kompostierung von Verstorbenen das Tabu rund um den Tod. «Mit der Diskussion um eine neue Bestattungsart befassen sich die Leute wieder mehr mit diesem heiklen Thema.» Doch die Umweltnaturwissenschaftlerin meint, zurzeit fehle es noch an Wissen über diese alternative Bestattungsform. Deswegen sei es wichtig, dass die Schweiz ein Pilotprojekt starte. Zürich würde dabei eine Vorreiterrolle einnehmen.
In unserem Nachbarland ist man kritisch. So sagte ein Hamburger Gerichtsmediziner im «Spiegel», es sei völlig falsch, zu behaupten, dem sogenannten Kokon werde am Ende Humus entnommen. Vielmehr müsse es sich um Kompost handeln, der «relativ viel verfaultes Fleisch» enthalte. Diese Bedenken sind auch der Theologin und Trauerexpertin Anja Niederhauser bekannt. Aus theologischer Sicht sei aber die Reerdigung durchaus schlüssig. «Wir haben uns das Leben nicht selber gegeben, somit gehen wir zurück, woher wir herkommen und geben etwas zurück, das hat auch mit Dankbarkeit zu tun», sagt sie. Zudem findet Niederhauser, dass die Reerdigung die Bedürfnisse der zunehmend säkularisierten Gesellschaft bediene.
Die Stadt Zürich ist von der Idee der Reerdigung überzeugt. «Wir würden eine Einführung begrüssen», sagt Sebastian Hos, Sprecher des Präsidialdepartements. Bei ihrer täglichen Arbeit, sei es bei Führungen oder Gesprächen mit Angehörigen, würden die Friedhofsämter ein deutliches Interesse an alternativen Bestattungsformen feststellen. «Die Reerdigung trifft auch den Zeitgeist der Stadt», sagt Hos. Die im Vergleich mit anderen Bestattungsformen erzielte Stromeinsparung reduziere den ökologischen Fussabdruck. Zudem komme man mit einer zusätzlichen Auswahlmöglichkeit dem Wunsch nach Individualisierung entgegen. Laut Hos hängt die Pietät einer Bestattung von individuellen Überzeugungen ab. Doch die Reerdigung respektiere den Kreislauf des Lebens. «Wir erachten sie als Bestattungsart pietätvoll», sagt Hos.
Ich werde mich und meine Frau in Rynach BL, in der Heide ausstreuen lassen. Mann hat mir mitgeteilt, das der Boden auch noch einen Zürcher vertragen würde. ;-)
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