Das Tram als Hindernis
Trotz Vorgaben des Bundes ist der Zürcher ÖV noch nicht komplett barrierefrei. Beeinträchtige Menschen ärgern sich darüber. Die VBZ sind der Ansicht, man sei auf gutem Weg. - Von Clarissa Rohrbach
Selbst das neue Flexity-Tram ist für Behinderte nicht barrierefrei. Bild: PD
Trotz Vorgaben des Bundes ist der Zürcher ÖV noch nicht komplett barrierefrei. Beeinträchtige Menschen ärgern sich darüber. Die VBZ sind der Ansicht, man sei auf gutem Weg. - Von Clarissa Rohrbach
Ein Ärgernis. Das ist der Zürcher ÖV für «Tagblatt»-Leserin Viola Schmid. Die betagte, gehbehinderte Frau hat grosse Mühe, in das Tram einzusteigen, wenn dieses nicht niederflurig ist. Von ihrem Zuhause aus nimmt sie regelmässig die Linie 9, auf der immer wieder die alten «Trams 2000» mit drei hohen Stufen fahren. «Diese Trams sind eine grosse Herausforderung für mich, und es geht auch anderen Menschen mit Behinderung so», sagt Schmid. Zwar gibt es bei vielen Trams 2000 eine Sänfte bei der dritten Tür, doch Schmid will vorne einsteigen, weil dort die Plätze für Menschen mit Beeinträchtigung sind.
Für Schmid ist das Angebot der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) mit Blick auf das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) unzureichend. Dieses hielt fest, dass bis 2024 der Schweizer ÖV für Menschen mit Behinderung spontan und autonom zugänglich hätte sein sollen. Die VBZ hatten seit der Verabschiedung des Gesetzes im Jahr 2004 rund 20 Jahre Zeit, um die Barrierefreiheit umzusetzen. Doch von dieser Vorgabe ist die Stadt noch um einiges entfernt. Laut VBZ sind von 183 Tramhaltestellen 145 hindernisfrei. «Doch was nützt eine erhöhte Haltekante, wenn das Tram Stufen hat?», fragt Schmid.
Die Linie 9 ist nicht die einzige, auf der Trams mit Stufen fahren. Auch die Linien 5, 13, 2, 7 und 8 sind nicht immer niederflurig. VBZ-Sprecherin Judith Setz beschwichtigt: «Von den 164 Tramzügen, die täglich unterwegs sind, sind 129 vollständig niederflurig, bei 23 werden Sänften eingesetzt und lediglich 12 sind nicht niederflurig.» Die alten Trams 2000 sollen im Verlauf der nächsten Jahre durch die neuen Flexity-Trams ersetzt werden. Man rechne damit, dass bis Ende 2028 alle alten Fahrzeuge ausgeschieden sein werden. Diese werden verschrottet oder zur Weiterverwendung an die Ukraine übergeben.
Doch auch beim neuen, niederflurigen Flexity-Tram, das laut VBZ «höchste Ansprüche» erfüllt, wurde Kritik laut. So schrieben die SVP-Gemeinderäte Michele Romagnolo und Sebastian Zopfi in einer schriftlichen Anfrage an den Stadtrat, dass zwischen Haltekante und Trittbrett ein Höhenunterschied von zwei bis vier Zentimetern bestehe. Das führe dazu, dass Behinderte den Rollstuhl nach hinten kippen müssten, was gefährlich sei. Auch der Zürcher SP-Nationalrat Islam Alijaj, der wegen einer Zerebralparese im Rollstuhl sitzt, ist mit dem Flexity-Tram nicht zufrieden. «In unserer Community ist das Problem bekannt und wird heiss diskutiert», sagt er. Er und viele Menschen mit Behinderung wollten nicht noch viele Jahre warten, bis sie autonom das Tram benutzen könnten. Der Stadtrat antwortete auf den Vorstoss, dass die Flexity-Trams die gesetzlichen Vorgaben einhielten. Laut Bundesamt für Verkehr darf der Höhenunterschied zwischen Haltekante und Trittbrett maximal fünf Zentimeter betragen. Ausserdem würden sich die Trams mit der Abnutzung der Räder mit der Zeit senken, was zu einem ebenerdigen Einstieg führe.
Zürich ist nicht die einzige Stadt, in der der ÖV noch nicht komplett behindertengerecht ist. So ist laut «Tsüri» in Bern nur jede fünfte Haltestelle barrierefrei. Per Ende 2023 waren laut Bundesamt für Verkehr (BAV) 433 von rund 1800 Schweizer Bahnhöfen noch nicht BehiG-konform. «Dass die Vorgaben des BehiG nicht überall eingehalten wurden, ist bekannt», sagt Sprecher Michael Müller. Der Bund unterstütze Bahnunternehmen bei der Umsetzung des BehiG finanziell. In den letzten 20 Jahren hat er bereits drei bis vier Milliarden Franken investiert. Doch für die Tramhaltestellen in Städten wie Zürich sei die Gemeinde zuständig und verantwortlich für allfällige Versäumnisse. Für Sanktionen gegen ÖV-Unternehmen, die die gesetzliche Anpassungsfrist nicht eingehalten haben, wie es der Verband Inclusion Handicap fordert, habe das BAV keine Möglichkeit.
Die VBZ meinen, die Stadt sei auf gutem Weg. Parallel zur Beschaffung von Niederflurfahrzeugen würden die Haltekanten erhöht. «Teilweise sind die Projekte komplex und durchlaufen einen mehrjährigen Planungs- und Bewilligungsprozess, deswegen konnten wir die Frist des BehiG nicht einhalten», so Setz.
Ich habe schon gehört, dass die neuen Trams auch für die Rücken und Handgelenke der Trämler schlecht seien. Warum kauft man Fahrzeuge, die nicht ausgereift sind? Wenn sie wenigstens barrierefrei wären! Jetzt müssen ZVV und VBZ investieren.
Jonas Kaufmann antwortenLade Fotos..