Künftig veganes «Zwänzgerle»?
Am Ostermontag findet der traditionsreiche Zürcher Anlass «Zwänzgerle» im Niederdorf statt. Doch der Brauch steht unter Beschuss von Tierschützern. Der Quartierverein sucht Lösungen. - Von Clarissa Rohrbach
Am Ostermontag findet der traditionsreiche Zürcher Anlass «Zwänzgerle» im Niederdorf statt. Doch der Brauch steht unter Beschuss von Tierschützern. Der Quartierverein sucht Lösungen. - Von Clarissa Rohrbach
Die Kinder strahlen. Das «Zwänzgerle» auf dem Rüdenplatz ist für sie eine schöne Gelegenheit, um etwas Sackgeld dazu zu verdienen. Ein paar Hundert Menschen stehen gedrängt auf dem Platz. Während die Kinder, ausgerüstet mit Handschuhen, um sich nicht zu verletzen, ein Ei halten, werfen Erwachsene 20 Rappen-Stücke (daher der Name «Zwänzgerle»). Der Deal ist einfach: Bleibt die Münze im Ei stecken, dürfen die Erwachsene das Geld behalten und das Ei essen. Treffen sie das Ei nicht, was meistens vorkommt, dürfen die Kinder das Geld in ihre Tasche stecken. Bis zu 13 Franken verdienen die Kinder bei der kurios anmutenden Tätigkeit, für Einige eine beträchtliche Summe. Für das «Zwänzgerle» braucht es auch ein wenig Mut. Die Kinder streifen durch die Menge und fragen Erwachsene, ob sie mitmachen wollen. Es ist ein Austausch, der die Generationen verbindet.
Am Ostermontag, um 10 Uhr, ist es dann wieder soweit. Der Quartierverein Zürich 1 ist bereits am Vorbereiten. «Wir werden Eier während des Anlasses zur Verfügung stellen», sagt Präsident Felix Stocker. Doch die meisten würden die gekochten Eier, die sie zuhause bemalt haben, selber mitbringen. Auch Münzrollen mit 20-Räpplern stehen bereit, um Geld zu wechseln. Mit der Verbreitung vom kontaktlosen Bezahlen etwa durch Twint dürfte das Bargeld in Zukunft seltener werden. Doch Stocker sieht der Entwicklung entspannt entgegen: «Es ist ja zum Glück noch nicht soweit.»
Die Geschichte des «Zwänzgerle» geht laut dem «Alt-Züri»-Blog zurück auf das 18. Jahrhundert. Der Anlass ist somit der Zürcher Osterbrauch schlechthin. 1909 berichtete erstmals ein Besucher Zürichs vom sogenannten «Driirüere», wie der Anlass damals genannt wurde. Damals wurden laut Stocker noch Zwei-Rappen-Münzen dafür genutzt. Die 20-Rappen hätten sich heutzutage etabliert, weil Fünfer und Zehner zu leicht seien, und der Einfränkler zu wertvoll sei. Während des Zweiten Weltkrieges wurde das «Zwänzgerle» ausgesetzt, weil Grundnahrungsmittel wie Eier zu jener Zeit knapp waren und rationiert wurden. Der Quartierverein Zürich 1 hat in den 1960er-Jahren den Brauch wiederbelebt. «Es ist ein sozialer Anlass mit einer langen Tradition», sagt Felix Stocker. Dieser sei so beliebt, dass auch ohne Werbung immer viele Leute kämen, auch von ausserhalb des Kantons Zürich. Mittlerweile findet der Osterbrauch auch im Industriequartier, in Oerlikon und in Schwamendingen statt. Dessen Gewerbevereinspräsident Fabian Minder meint, man erwarte auf dem Schwamendingerplatz rund 60 Personen, bei schönem Wetter mehr. Das Quartier sei im Wandel und immer mehr Alteingesessene müssten wegziehen, das könnte sich auf die Besucherzahl auswirken. Deswegen mache man laut Minder Werbung für das «Zwänzgerle».
Doch der beliebte Anlass passt leider nicht allen. In den vergangenen Jahren kam es zu Protesten auf dem Rüdenplatz. Tierschutz-Aktivisten machten mit Schildern auf das Schicksal der Hühner aufmerksam. «Fertig mit der Genussgewalt», stand etwa darauf. Zudem wurde Kritik laut, dass beim «Zwänzgerle» Lebensmittel verschwendet würden, weil die beschädigten Eier teilweise weggeworfen würden. «Die Kritik, ob mit Eiern gespielt werden darf, ist berechtigt, wir nehmen diese ernst», sagt Felix Stocker. Zudem stelle sich die ethische Frage, ob man angesichts der teilweise schlechten Zustände in der Hühnerhaltung überhaupt Eier konsumieren soll. Man sei in Kontakt mit diesen Organisationen und führe mit ihnen einen Dialog. «Wir haben uns schon überlegt, das 'Zwänzgerle' mit einer veganen Alternative durchzuführen», sagt Stocker.
Auch die derzeitige Eierknappheit könnte sich auf das «Zwänzgerle» auswirken. Zurzeit sind die Eierregale bei der Migros stark ausgedünnt. Grund dafür ist die Vogelgrippe in den USA, aber auch die stark angestiegene Nachfrage nach Eiern in der Schweiz. Mehr Leute essen Eier, mit dem Verzicht auf Fleisch sind diese eine willkommene Proteinquelle. 2024 stieg der Konsum von 189 auf 198 Eier pro Kopf im Jahr. Laut Gallosuisse-Präsident Daniel Würgler, der Verband der Eierproduzenten, hat die Oster-Euphorie die Situation zugespitzt. Kurzfristig könne der Eiermarkt nicht auf einen solchen Zuwachs reagieren. Dieser brauche anderthalb Jahre Vorlaufzeit, um auf Nachfragesteigerungen zu reagieren.
Felix Stocker macht sich keine Sorgen. «Es ist ja nicht so, dass wir massenhaft Eier benötigen», sagt er. Anders sieht das Fabian Minder aus Schwamendingen: «Es könnte sein, dass sich der Eier-Engpass auf das 'Zwänzgerle' auswirkt», mutmasst er. Er hofft, dass es am Ostermontag zu keinen Problemen kommen wird. Trotz kleiner Hürden dürften beim «Zwänzgerle» die Herzen von Jung und Alt wieder höher schlagen.
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