Druck beim Zahlen
In Zürcher Restaurants wird der Trinkgeldbetrag vorgegeben. Die Branche meint, das helfe den Gästen. Diese fühlen sich bevormundet. - Von Clarissa Rohrbach
Beim Zahlen erscheinen Trinkgeld-Vorschläge. Das ärgert Gäste. Bild: CLA
In Zürcher Restaurants wird der Trinkgeldbetrag vorgegeben. Die Branche meint, das helfe den Gästen. Diese fühlen sich bevormundet. - Von Clarissa Rohrbach
5, 10 oder gar 15 Prozent? Wer in Restaurants oder Cafés mit Karte bezahlt, wird neuerdings mit Vorschlägen auf dem Zahlterminal dazu aufgefordert, Trinkgeld zu geben. Für «Tagblatt»-Leserin Maria Suter eine Frechheit. «Ich will Trinkgeld geben, wenn ich zufrieden mit dem Service bin, nicht weil ich dazu gedrängt werde.» Trinkgeldgeben sei ein Akt der Dankbarkeit, doch mit dieser Praxis mutiere es zum Zwang.
Auch eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) aus dem Jahr 2022 hält fest, dass sich zwei Drittel der Befragten bevormundet fühlen, wenn ihnen Prozentsätze fürs Trinkgeld vorgeschlagen werden. Sie würden auch gedrängt, mehr Trinkgeld zu geben als sie eigentlich wollen.. «Viele Menschen fühlen sich unter Druck, das Nein sagen ist schwierig, besonders wenn ihnen beim Bezahlen andere zuschauen», sagt ZHAW-Forscher Marcel Stadelmann der «NZZ».
Die Idee für die Trinkgeld-Vorschläge hatten die Anbieter von Kartenlesegeräten. Denn diese verdienen einen festen Anteil an jeder Zahlung. Die Option «kein Trinkgeld» erscheint nur klein am unteren Rand des Displays. Mit den vorgegebenen Prozentsätzen schwappt ein Trend aus den USA nach Zürich. Dort leben Angestellte in Gastrobetrieben vom Trinkgeld, da der Mindestlohn 2,13 Dollar pro Stunde beträgt. Die Amerikaner bezahlen bis zu 30 Prozent Trinkgeld. Doch in der Schweiz hält ein Landes-Gesamtarbeitsvertrag seit 1974 fest, dass Service im Lohn inbegriffen ist. Trinkgeldgeben ist für Gäste freiwillig.
Gastronomen können selber entscheiden, ob sie die Funktion auf dem Zahlterminal aktivieren wollen. Auch die Familie Wiesner Gastronomie mit 28 Betrieben, wie unter anderem das Nooch oder das Negishi, nutzt die Prozentsätze bei der Zahlung, auch in Take Aways. Laut Geschäftsführer Daniel Wiesner sind die Vorschläge auf dem Zahlterminal eine Hilfe für Gäste, vor allem wenn es bei der Zahlung schnell gehen muss. «Es handelt sich nicht um eine Bevormundung, der Gast ist frei zwischen den Optionen zu entscheiden», sagt er. Mit Corona hat sich das bargeldlose Bezahlen durchgesetzt, dabei fürchtete das Personal weniger Trinkgeld zu bekommen. Doch es habe sich gezeigt, dass dieses leicht zugenommen habe. Wiesner meint, dass die wenigsten Gäste die Optionen auf dem Gerät nutzen, die meisten würden aufrunden.
Florian Weber, Geschäftsführer der Pumpstation Gastro GmbH, die rund um das Zürcher Seebecken 18 Betriebe führt, begrüsst die neue Praxis bei der Zahlung. «Unsere Gäste geben sowieso meistens Trinkgeld, mit dieser Funktion müssen sie nicht lange überlegen, es ist eine Erleichterung.» Webers Firma verzichtet auf die Trinkgeldvorschläge in Lokalen mit Selbstbedienung. «Wenn es kein Service gibt, sehe ich nicht ein, warum man den Gast zum Trinkgeldgeben nötigen muss.» Die Praxis sei auch wegen des Personalmangels in der Gastronomie entstanden, sie würde den Job attraktiver machen, denn die Schweizer seien zu höflich, um kein Trinkgeld zu geben, wenn danach gefragt werden.
Gastro Kanton Zürich hat auch negative Rückmeldungen bekommen. «Für den Gast sind die Trinkgeld-Vorschläge unsympathisch, es entsteht ein psychischer Stress, dass man etwas geben muss», sagt Präsident Urs Pfäffli. Früher fragten die Zahlterminals nur nach Trinkgeld Ja oder Nein, das sei eine willkommene Erinnerung gewesen, um darauf aufmerksam zu machen. Die standardisierten Prozentsätze würden dem Gast suggerieren, was angebracht ist, dabei sei das Trinkgeldgeben freiwillig. «Trinkgeld gibt man, wenn man mit der Dienstleistung zufrieden ist, es muss von Herzen kommen, nicht weil man daran erinnert wird», sagt Pfäffli.
Absoluter Quatsch. Ich frage dann immer, ob ich gerne abrunden darf.
RAV antwortenVor Jahren wurde das Trinkgeld in den Verkaufspreis einkalkuliert. Jetzt will man nichts mehr davon wissen und erhebt zusätzlich wieder Trinkgeld. Was soll das!
Regula antwortenNiemand spricht davon, dass 1974 mit dem L-GVA das Trinkgeld in Gastrobetrieben definitiv in die Preise einzurechnen ist. Service inbegriffen. Die Diskussion erübrigt sich also. Es ist nur eine unverschämte Geldmacherei.
Remo antwortenLade Fotos..