14.10.2025 15:55
«Wir müssen der Infrastruktur unbedingt Sorge tragen»
In der Stadt Zürich ist zuletzt die Energie- und ÖV-Politik in den Mittelpunkt gerückt. Michael Baumer zieht als Vorsteher der Industriellen Betriebe Bilanz zum Stand der Legislaturschwerpunkte und spricht über dem geplanten Verkauf von Energie 360°, der Preissenkung für ÖV-Tickets und das Tram Affoltern. - Von Sacha Beuth
Die Energiewende ist das Leitmotiv für Ihr Departement. Dazu haben Sie diverse Legislaturschwerpunkte gesetzt. Welche konnten bislang erreicht werden?
Michael Baumer: Zu den Wichtigsten zählt der Umbau der Wärmeversorgung und die damit zusammenhängende Reorganisation der Anbieter. Dazu muss man wissen, dass rund 50 Prozent des CO₂-Ausstosses in der Stadt Zürich auf die Wärmeversorgung zurückzuführen sind. Der grossflächige Umbau ist ein entscheidender Hebel, um die gesteckten Klimaziele zu erreichen. Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt, der umgesetzt wurde, ist der Ausbau der Stromproduktion. Gerade bei der Wasserkraft, aber auch bei der Windkraft im In- und Ausland haben wir zulegen können. So konnten wir letztes Jahr eine Terawattstunde an Energie allein mit Windkraft produzieren, was einem Drittel des Jahresbedarfs der Stadt Zürich entspricht.
Und wo hinkt man noch hinterher?
Ich würde hier nicht von hinterherhinken sprechen. Wir sind grundsätzlich gut unterwegs. Es gibt aber ein paar Bereiche, wo wir noch nicht dort sind, wo wir gerne schon jetzt sein wollten. Zum Beispiel beim Einbau der Smartmeter in Liegenschaften zur digitalen Übermittlung der Verbrauchsdaten für Strom, Wasser und Gas. Oder beim Ausbau von Photovoltaik-Anlagen.
Was sind die Ursachen für die Verzögerungen?
Bei den Smartmetern liegt die Ursache an Corona und den damit verbundenen Lieferengpässen. Bei der Photovoltaik halten wir die Fäden nur zum Teil selbst in der Hand. Wir müssen uns dort nach den Vorgaben und Gesetzen von Kanton und Bund richten. Und der Kanton kennt beispielsweise eine Photovoltaik-Pflicht nur für Neubauten, nicht aber auch für Bestandsbauten. Durch Unterstützung im Bewilligungsprozess undeine grosszügige finanzielle Förderung Support konnten wir dennoch vermehrt private Liegenschaftenbesitzer dazu bewegen, in Photovoltaik zu investieren. Es bleibt unser Ziel, bis ins Jahr 2040 alle wirtschaftlich und technisch nutzbaren und zugelassenen Flächen mit Photovoltaik auszurüsten.
Bleiben wir mal bei der Energieversorgung. Kürzlich wurde gemeldet, dass die Stadt als Mehrheitsaktionärin den Energiedienst-leister Energie 360° ans EKZ, also den Kanton, verkaufen will. Wieso ist dieser Verkauf sinnvoll?
Ausgangslage hierfür ist die eingangs erwähnte Reorganisation der Wärmeversorgung. Neu ist in der Stadt Zürich allein EWZ dafür zuständig. Gleichzeitig wurde der Gas-Ausstieg beschlossen. Somit wurden für Energie 360° neue Perspektiven ausserhalb der Stadt gesucht. Und da das Unternehmen bereits heute viele Aktivitäten auf Kantonsgebiet hat, lag eine Partnerschaft mit EKZ beziehungsweise ein Verkauf nahe. Denn es stellte sich für uns die Frage, ob wir noch die richtigeEigentümerin sind, wenn sich das Tätigkeitsgebiet der Unternehmung immer mehr ausserhalb der Stadt befindet. Hinzu kommt, dass sowohl Energie 360° wie EKZ grosse Erfahrung bei der Realisierung von Fernwärmenetzen besitzen und Energie 360° mit EKZ einen Partner bekäme, der die nötigen hohen Investitionen, die solche Projekte brauchen, sicherstellen kann.
Linksgrün behauptet dagegen, die Stadt würde so ihr Tafelsilber verschleudern und die Energiewende ausserhalb der Stadt Zürich hinauszögern.
Ich bin ziemlich erstaunt, dass sich gewisse Politikerinnen und Politiker ein Urteil anmassen, bevor überhaupt ein Beschluss gefasst wurde. Dass wir mit EKZ in Verhandlungen sind, haben wir im Sinne der Transparenz mitgeteilt. Ich erwarte vom Gemeinderat, dass er sich wenn es so weit ist, mit einem Beschluss befasst, aber sich nicht schon jetzt zu Annahmen äussert. Ausserdem wird EKZ den Ausbau thermischer Netze nicht verzögern, denn es ist ebenfalls verpflichtet, das kantonale Energiegesetz und die Beschlüsse der Stadt zur Gasnetzstilllegung einzuhalten.
Wichtig für das Erreichen der Energiewende, beziehungsweise Netto-Null, ist auch der Ausbau im öffentlichen Verkehr. Etwa mit der Realisierung des Tram Affoltern. Der Kanton Zürich sollte erst 366 Millionen Franken dazu bei-steuern und die Stadt 22 Millionen. Nachdem der Kanton das Projekt zurückstellen wollte, bot die Stadt an, 82 Millionen Franken zu übernehmen um das Projekt zeitnah zu realisieren. Warum liess sich der Stadtrat erpressen?
Die Stadt steht gegenüber ihrer Bevölkerung in der Verantwortung. Durch die Mobilität entstehen rund 30 Prozent des CO₂-Ausstosses in Zürich. Eine massgebliche Reduktion lässt sich nur erreichen, wenn man vom privaten PW auf den öffentlichen Verkehr umsteigt. Dafür ist aber der Ausbau des öffentlichen Verkehrs, so wie es die vom Stadtrat verabschiedete Netzentwicklungsstrategie 2024 vorsieht, elementar. Es kann nicht sein, dass wir nochmals 10 bis 20 Jahre damit warten, nur weil der Kantongerade kein Geld hat. Hinzu kommt, dass wir die 127 Millionen Franken, welche der Bund beisteuern würde, verlieren, wenn wir nicht bis 2029 mit dem Bau begonnen haben. Also sind wir dem Kanton entgegengekommen, allerdings mit der Forderung, die Finanzierung von gemeinsamen Projekten so zu regeln, dass künftig Planungssicherheit besteht.
Laut einem Bericht von tsri.ch sind aber viele Anwohner und Gewerbetreibende in Affoltern gar nicht so sehr von der künftigen Tramlinie begeistert. Sie befürchten mehr Lärm, breitere Strassen und während der Bauzeit behindernde Absperrungen. Zurecht?
Ich bin überzeugt, dass das Tram Affoltern das Quartier aufwerten wird. Die Beförderung ist schneller und bequemer als mit dem Bus. Und man ist neu direkt mit dem Hauptbahnhof verbunden. Auch angesichts des Bevölkerungswachstums in diesem Quartier ist eine neue Tramlinie nötig. Ein Tram hat die Passagier-Kapazität von zwei Trolley-Gelenkbussen. Die Alternative wären somit trotz jetzt schon dichtem Takt überfüllte Busse und/oder mehr motorisierter Individualverkehr. Der Lärm und die Behinderungen lassen sich übrigens nicht verhindern, da die Werkleitungen ohnehin saniert werden müssen.
Im Weissbuch «Aufbruch in den Stadtraum Hauptbahnhof 2050» sind weitere Ausbaupläne des ÖVs erwähnt. Welche waren Ihnen als Vorsteher der Industriellen Betriebe ein besonderes Anliegen?
Unter anderem, dass es mehr behindertengerechte Haltestellen und mehr Wendemöglichkeiten für die VBZ-Fahrzeuge im Störungsfall geben soll. Auch entspricht die Idee, dass nicht der gesamte Verkehr über den Hauptbahnhof fahren soll, unserer Netzentwicklungsstrategie mit den zwei Ringen und Querverbindungen zwischen den Quartieren. Ein wichtiger Aspekt und für einige auch der zentrale Punkt ist natürlich die Forcierung, auf den ÖV umzusteigen.
Und was ist mit der Aufhebung der Tramstation Löwenstrasse?
Das ist ein Vorschlag, den man noch vertieft prüfen muss, zusammen mit lokalen Gewerbetreibenden. Mit der neuen Haltestelle Europaallee wäre man näher am Hauptbahnhof. Das ist ein Vorteil. Der Nachteil wäre, dass der Löwenplatz an Erschliessungsqualität verliert – dafür an Aufenthaltsqualität gewinnt. So oder so hänge ich nicht an diesem Punkt.
All die Projekte und Massnahmen kosten Geld. Doch davon steht künftig weniger zur Verfügung, da die Stimmbevölkerung die Senkung des VBZ-Jahresabos von 809 auf 365 Franken fürErwachsene angenommen hat.
Hier ist anzumerken, dass die Stadt Zürich keine Hoheit über die Tarife hat. Die hat der ZVV. Das heisst, die Stadt kann nur über Gutscheine oder eine sachbezogene Vergünstigung die Stadtzürcher ÖV-Nutzerinnen und -Nutzer entlasten. Als Vorsteher der Industriellen Betriebe und somit auch der VBZ bin ich darum einigermassen entspannt. Der ÖV-Betrieb wird dadurch nicht gefährdet. Als Stadtrat sehe ich den Abfluss von über 140 Millionen Franken an Steuergeldern für die Preissenkung jedoch kritisch. Es ist Geld, das uns ananderer Stelle fehlen wird, alsoetwa für Infrastrukturprojekte. Ich denke da gerade an das über 100-jährige Wasserwerk Moos, dessen Erneuerung einen dreistelligen Millionenbetrag kosten wird. GuteInfrastruktur ist die Grundlage dafür, dass Zürich eine lebenswerte Stadt ist. Ihr müssen wir unbedingt Sorge tragen.
Digitalisierung und Innovation im ÖV sind weitere Ihrer Ziele, die auch in den Legislaturschwerpunkten festgehalten sind. Was ist hiermit konkret gemeint?
Grundsätzlich die neusten technischen und technologischen Entwicklungen zu nutzen. Zum Beispiel zur Vereinfachung der Fahrzeugwartung. Oder für neue Angebote. So haben wir ab November 2020 für 18 Monate das Innovationsprojekt «Pikmi» erfolgreich ge-testet, ein Ruf-Bus-System über eine App, wobei neue Haltepunkte abseits der regulären Busroute angesteuert werden konnten.
Innovation in Ehren. Aber wäre es nicht wichtiger, gewisse Stand-ards einzuhalten. Also etwa da-rauf zu achten, dass weniger Busse und Trams ausfallen, der Fahrplan eingehalten wird und die Klimaanlagen in den Fahrzeugen funktionieren?
Ein verlässlicher Betrieb ist unser oberstes Ziel. Und wir sind da sehr gut unterwegs, weisen generell eine hohe Pünktlichkeit und relativ geringe Ausfallquote auf. Übrigens fielen in den vergangenen 10 Jahren nur zweimal flächendeckend Fahrzeuge wegen der Witterung aus. Viel mehr zu schaffen machen uns hier die Demos in der Innenstadt. Zugegeben, auch ichärgere mich, wenn die Fahrplananzeige oder die Klimaanlage ausfällt. Aber bei jeweils einer Million Passagiere pro Tag sind solche Vorfälle überschaubar. Nicht umsonst sind ausländische Besucherinnen und Besucher begeistert von unserem ÖV.